Opening Saturday 16.11., 3-6pm
Anlässlich der Vorbereitung für die Ausstellung ,Möglichkeiten einen Stein zu betrachten’ in der Galerie Petra Rinck führte Franziska Lamprecht per E-Mail ein Interview mit Albrecht Schäfer.
Franziska Lamprecht ist Autorin und Künstlerin aus Upstate New York und wohnt derzeit in Taipei. Sie arbeitet unter dem Namen eteam mit Hajoe Moderegger zusammen.
FL: Kannst Du kurz beschreiben, was in der Ausstellung zu sehen sein wird?
AS: In der Galerie werde ich Malerei, Wandobjekte und zwei Installationen zeigen. Die Hauptarbeit ist eine große Fläche, ca. 20 qm, aus Steinen, sehr feinem Sand und Staub. Das Material stammt von einem Schotterweg ganz in der Nähe unseres Hauses, übrigens direkt neben dem Berghain, wo im Moment eine große Baustelle ist. Von diesem Schotterweg werde ich am nächsten Wochenende, wenn keine Bauarbeiten stattfinden, mit Hilfe von Dora oder Selma die oberste Schicht der Steine sammeln, vielleicht auch ein paar andere Sachen, die so rumliegen, aber im Wesentlichen die Steine und genau in dieser Anordnung – mehr oder weniger – in der Galerie wieder aufbauen.
FL: Wenn ich an das Ausstellen von Staub, Steinen und Erde in einer Galerie denke, dann habe ich The New York Earth Room von Walter de Maria vor Augen. 1977 wurden in einem Loft in der Wooster Street in NYC 197 Kubikmeter Erde auf 335 Quadratmetern Bodenfläche verteilt und seitdem wird die Installation von der DIA Art Foundation als permanente Skulptur unterhalten. Die Arbeit wird, ich nehme an u.a. auch wegen ihrer Dicke von 56 cm, als Skulptur bezeichnet. Deine Bodenarbeit ist dagegen flach, es scheint Dir also eher um die Oberfläche zu gehen, d.h. Du kreierst ein Bild, welches nicht an der Wand hängt, sondern auf dem Boden liegt. Liege ich damit richtig oder mache ich diese Annahme nur, weil Du mir die Vorschau dieser Arbeit als Foto geschickt hast, eine Abbildung die ich gleich mit deiner Malerei von Steinen in Verbindung bringe.
AS: Der für mich wichtigste Lehrer in meinem Kunststudium war Roger Ackling am Chelsea College of Art in London. Er gehörte zu einem Kreis von Künstlern, zu denen auch Richard Long und Hamish Fulton gehörte. Durch seine Arbeit und ihn selbst habe ich einen für mich sehr prägenden Eindruck der Konzeptkunst und Land-Art der 1960-er Jahre bekommen, die mich immer mehr angezogen hat, als die amerikanische. Auch die Arte Povera war für mich kunsthistorisch in diesem Zusammenhang wichtig. Die Arbeit Staub, Sand und Steine in ihrer direkten Übertragung von Material von einem Ort zu einem anderen hat für mich eher eine Nähe zu Richard Longs frühen Arbeiten, als zu Robert Smithson oder Walter de Maria.
Aber Du hast recht, die Arbeit ist von mir auch als Bild gedacht, das für mich wechselweise an eine Mondlandschaft, einen Zengarten oder an ein großes Stillleben erinnert. Darin hat es natürlich sehr viel mit meiner Malerei zu tun, wo ich oft Stillleben aus Steinen neben der Staffelei aufbaue und abmale. Die Steine sehe ich als Skulpturen oder als Berge in einer sehr weiten, wüstenartigen Landschaft. Oder eben als Steine.
FL: Wie gehst Du bei der Bodenarbeit vor?
AS: Ich unterteile am Originalort das Feld zuerst in Quadrate, sammle dann die Steine in jedem Quadrat getrennt und stelle dann in der Galerie Quadrat für Quadrat wieder nach. In der Ausstellung wird unter die Steine allerdings zuerst noch eine gleichmäßige Fläche mit Staub bzw. sehr feinem Sand aufgesiebt.
FL: Du beschreibst Dein Tun als Nachbau. Warum hast Du nicht Umbau oder Neubau gesagt?
AS: Umbau oder Neubau klingt für mich nach der Absicht, etwas zu arrangieren oder dazuzuerfinden. Aber in meiner Arbeit geht es nicht um Erfindung, sondern um genaue Beobachtung und die Transformation dieser Erfahrung in ein anderes Medium oder in eine andere Form. Es gibt dieses schöne Buch von Francis Ponge, das Notizbuch vom Kiefernwald, in dem er versucht, einen Kiefernwald zu beschreiben und schon im ersten Satz feststellt, dass er den Gegenstand nicht genau erfasst. Das ganze Buch ist ein zum Scheitern verurteilter und dabei sehr poetischer Versuch, einen Gegenstand in Sprache zu übersetzen. Der Text ist immer anders als der Gegenstand, aber der Prozess der Annäherung oder Transformation ist interessant und sagt genauso etwas über den Gegenstand aus, als über den Autor und seine Weilt. Diese Transformation und die damit verbundene Haltung zur Welt interessiert mich mehr, als etwas neu zu erfinden.
F.L. Ja, genau. Im Tao Te Ching steht im ersten Kapitel:
道可道。
非常道。
名可名。
非常名。
無名天地之始。
有名萬物之母。
故常無欲。
以觀其妙。
常有欲以觀其徼。
此兩者同出而異名。
同謂之玄。
玄之又玄。
衆妙之門。
“The Tao that can be told is not the eternal Tao.
The name that can be named is not the eternal name.
The nameless is the beginning of heaven and earth.
The named is the mother of ten thousand things.
Ever desireless, one can see the mystery.
Ever desiring, one can see the manifestations.
These two spring from the same source but differ in name;
this appears as darkness.
Darkness within darkness.
The gate to all mystery.”
Und dies ist nur eine, von wahrscheinlich hunderten, englischen Übersetzungen aus dem Chinesischen. Die Spruchkapitel, so nimmt man an, wurden im 4. Jahrhundert v. Chr. möglicherweise von Laozi aufgeschrieben.
Sieh Dir mal dazu im Vergleich eine der deutschen Übersetzungen an:
Der Weg mag gesagt,
schwerlich immerzu der Weg.
Ein Name mag genannt,
schwerlich durchgehend ein Name.
„Ohne“ benennt des Himmels und der Erde Anfang.
„Mit“ benennt aller Dinge Mutter.
Deshalb [sei] beständig ohne Wünschen,
somit erkenne ihre (winzigen) Feinheiten,
beständig mit Wünschen, somit erkenne ihre Äußerlichkeiten.
Diese Beiden (Erkenntnisweisen / Betrachtungsweisen)
[sind] gemeinsamen Ursprungs und doch verschieden genannt.
Der gemeinsamen Auffassung verborgen,
des (mystischen) Dunkels abermals Dunkel,
der zahllosen Feinheiten (Sinnes-) Tor.
Schon an diesem Beispiel sieht man, dass sich die Menschen seit Jahrtausenden mit Übersetzungen und ihren Diskrepanzen beschäftigt haben. Wahrscheinlich sind es die kleinen Feinheiten dieser Abweichungen, die es uns überhaupt erst ermöglichen über die Welt und unseren Platz darin nachzudenken. Das ist ja auch, warum es Spass macht, sich Deine Arbeit vor Augen zu führen. Erst wahllos die Steine vorm Berghain auf dem Schotterweg, dann, akribisch, dieselben Steine in ähnlicher Formation auf dem Boden der Galerie, das ist so eine Aufgabe, die sich, zumindest am Anfang, so darstellt, als könnte ich sie in Angriff nehmen.
Aber nun weitergedacht: 1931 hat der polnisch-amerikanische Ingenieur und Philosoph Alfred Korzybski geschrieben A map is not the territory and the word is not the thing, später hat sich dann die Version: all models are wrong (but some are useful). verbreitet. Man hat also erkannt, das das Ding an sich immer nur in einer Art unvollständigen Abstraktion gesehen, dargestellt oder mitgeteilt werden kann und fragt sich nun nach dem Nutzen solcher Tätigkeiten. Wie ist das bei Dir mit dem Nutzen? Hast Du ästhetische Motive, wenn Du die Steine und den Staub vom einen Platz in den anderen verlagerst? Sieht Deine Präsentation der Steine auf dem Staub schöner aus, als dies der Schotterweg hat zustande bringen können?
AS: Nein, der Originalweg ist für mich immer schöner, aber ich nehme ihn vielleicht erst durch die künstlerische Transformation war. Das wäre auch, wenn man so will, ein Nutzen der Kunst. Dieses Wahrnehmen der Dinge, die vor uns liegen. Wir müssen, glaube ich, unsere Neugier, die wir in uns haben, wach halten. Sonst verkümmern wir innerlich. Aber auf was richtet sich diese Neugier? Wir suchen es in der Ferne oder denken, dass man es nur mit hohem materiellen Einsatz erreichen kann oder durch Stimulanzien aller Art. Aber eigentlich müssen wir nicht weit schauen. Auch so verstehe ich den Titel Möglichkeiten einen Stein zu betrachten. Der Stein ist aber nicht nur der Kieselstein am Wegrand, sondern auch der größte irdische Stein, die Erde selbst.
Aber zu dem Zitat von Lao-Tse: Es ist kaum zu glauben, dass man einen Text, der so alt ist, so aktuell und richtig klingt finden kann. Und ich stimme Dir in jedem Fall zu, dass es diese Feinheiten und Abweichungen sind, vielleicht auch die Räume zwischen den Wörtern, die wichtig sind. Ich denke auch noch an etwas anderes. Peter Doig hat mal in einem Interview über seine Bilder gesagt: They are totally non-linguistic. There is no textual support to what you are seeing. Often I am trying to create a ‘numbness (Taubheit). I am trying to create something that is questionable, something that is difficult, if not impossible, to put into words. Natürlich redet auch Doig über seine Bilder. und sie haben Titel. und es gibt einen Diskurs darüber u.s.w. Aber er spricht dennoch von dieser nicht-textlichen Ebene. Das ist vielleicht nochmal etwas anderes, als das, was in Deinem Zitat angesprochen wird, aber diese Erfahrung spielt für mich auch eine Rolle. Wenn ich etwas textlich formuliere – dieser Text eingeschlossen – , dann fühle ich immer eine grundsätzliche Unsicherheit, die dazu führt, dass ich die Sätze dann in der Regel korrigiere, kürze, oft weglasse, sogar oft Titel vermeide. Das kann auch einfach eine Textschwäche sein oder eine künstlerische Prägung. Dennoch, das Faszinierende an einem Stein ist für mich in dem Zusammenhang auch, dass er dem Textlichen – und dem Menschen – gegenüber vollkommen indifferent ist. Das Thema zieht mich einfach an. Diese Indifferenz ist es auch, denke ich, warum es in der klassischen europäischen Kunstgeschichte, soweit ich weiß, keine Stillleben mit Steinen gibt. Es wird alles abgebildet, aber das Naheliegende, das immer schon gesammelt wurde, immer schon mit Bedeutung aufgeladen wurde, z.B. die Steine auf Gräbern, die Grabsteine überhaupt usw… dass die Steine trotzdem auf den Stillleben nicht zu finden ist.
F.L. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Stein an sich, weder dem Menschen noch dem Textlichen gegenüber indifferent ist. Der Stein ist Teil der Welt, so wie der Mensch, d.h. wir stehen im direkten Austausch. Willst Du den Steinen, die Du abgemalt oder eingesammelt hast, das Recht absprechen, dass sie Dich möglicherweise in ihren Bann gezogen haben? Du sagst, Du hast sie ausgesucht, vielleicht war es aber auch umgekehrt, vielleicht haben sie sich ja Dich auch auserwählt, mit ihnen in einen besonderen Austausch zu treten. Offensichtlich hatten sie Dir ja was mitzuteilen.
Ich habe mir gerade ein Bild von Gao Xu angesehen, das hat er 1503 gemalt. Auf Englisch heißt der Titel: Mi Fu Bowing to a rock. Die Erklärung dazu ist die folgende:
The scholar-artist Mi Fu was an eccentric of the eleventh century, and one of the four great calligraphers of the Song dynasty. It was well-known that he had a peculiar admiration for certain rocks. In this period, men of culture collected and placed in their gardens rare and unusual rocks from Lake Tai, which had become pitted and worn by the actions of wind and waves over many centuries. Mi Fu believed that some these rocks had their own souls and he was in the habit of paying them his respects, by bowing before them as if they were venerable old gentlemen.
Was das Textliche betrifft, gibt es noch ein zweites Bild in der Serie. Da sitzt ein Mann vor einem großen Gelehrtenstein mit einer losen Rolle Papier in der Hand. Der Titel des Bildes heisst: Seeking a Suitable Phrase.
AS: Die Steine, die ich meine, sind nicht die besonderen, wie die in den chinesischen Bildern abgebildeten, sondern eher die gewöhnlichen Kieselsteine, die überall rumliegen. Aber Du sprichst etwas Wichtiges und Grundsätzliches an. Ich finde das auch deshalb interessant, weil Du Dich ja viel mit der chinesischen Kultur, der zeitgenössischen, aber auch der traditionellen, beschäftigt hast, einige Jahre in Asien gelebt hast, auch aktuell in Taipei lebst und auch Chinesisch lernst. Für mich ist das unsicheres Terrain. Aber ich denke, ja, natürlich sind wir nicht getrennt von dem Stein, materiell nicht und ökologisch sowieso nicht. Ich bin überzeugt, dass vom Stein zu uns ein Kontinuum ohne Grenze besteht. Ich meinte nicht leblos im Sinne einer Subjekt-Objekt-Trennung, sondern in biologischer Hinsicht. Wenn man dem Stein nun etwas zuspricht, das über die pure Materialität und unsere ökologische Verbundenheit hinausgeht, etwas, was natürlich immer gemacht wurde, der heilige Stein, der Erinnerungsstein, seit es die Menschheit gibt. Bredekamp schreibt in einem Text, dass sogar schon Affen Steine als quasi-rituelle Orte gesammelt haben und das eines der allerersten Zeichen für Kultur sein könnte. Also das gab es immer und dennoch habe ich da meine Schwierigkeiten zu folgen. Für mich ruft der Berg nicht, sondern wir wollen gerufen werden. Diese Wunschübertragung, psychologisch gesprochen, funktioniert natürlich gut, weil der Stein nicht widersprechen kann, er ist perfekt dafür geeignet. Aber gleichzeitig denke ich manchmal, wenn ich Steine abmale, dass alles auch ganz anders sein könnte und versuche in den Stein hineinzulauschen. Vermutlich wäre ich dann einer der ersten, die vor dem Stein in die Knie gehen würde, wenn er sich einmal melden würde, aber bisher war das nicht der Fall.
FL: Für mich ist es wertvoll zu wissen, dass Dir Deine Töchter beim Sammeln der Steine behilflich sein werden, und ich finde es toll, dass sie mitmachen. Welche Fähigkeiten und Erwartungen werden da in Deinen Töchtern wach oder geschult, wenn sie da am Wochenende vorm Berghain auf der Baustelle sitzten und für ihren Vater kleine Steine aufsammeln?
AS: Es war schön heute mit meiner Tochter, wir haben nebenher über alles mögliche geredet, zwischendurch kam lauter Techno aus dem Berghain. Weiter hinten auf dem Brachgelände, wo der Schotterweg ist, wohnen illegal Menschen, die auch vorbeigekommen sind und mit uns geredet haben. Nebenan ist ein Baumarkt, dann die Metro mit einem Sportplatz auf dem Dach, eine riesige Baustelle, wo gerade ein ganzes Stadtviertel gebaut wird, die Opernwerkstatt, das Neue Deutschland, ein Nachbarschaftsgarten… Es ist eine sehr faszinierende Ecke, mitten in Berlin und sehr nah an unserer Wohnung. Es war interessant mit meiner Tochter über diesen Ort zu reden. Sie hatte auch gute Ideen zu meiner Arbeit, zum Beispiel sagte sie, dass man nach dieser Arbeit, nochmals die eine zweite oder weitere Arbeiten machen kann, die immer die nächste Schicht von dem Weg abtragen. Super Idee – die übrigens das Flächige der Arbeit sehr genau erfasst, wovon Du sprichst…
Meine andere Tochter hat mir letzte Woche geholfen. Sie steckt nochmals ganz anders in der Arbeit, weil sie, seit sie ein kleines Kind war, Steine gesammelt hat und eine sehr schöne Steine-Sammlung besitzt. Sie hat mir auf allen Urlauben und Spaziergängen über Jahre wunderschöne Steine gezeigt und vermutlich bin ich auch deshalb auf die Idee mit den Steine-Stillleben gekommen.
FL: Was gibt es noch in der Ausstellung zu sehen?
AS: Im gleichen Raum wie die Steine- und Staub-Fläche wird auf der Wand eine ca 3 x 6 m große hellgrüne, rechteckige monochrome Fläche sein, die mit fast reinem Chlorophyll gemalt ist, das ich aus Spinat oder Brennesseln herstelle. Ich versuche der Steine-Fläche, die ja etwas Zeitloses und Lebloses hat, etwas Lebendiges, sich Veränderndes gegenüberzustellen. Das Blattgrün, das ja für biologisches, pflanzliches Leben steht, verblasst an der Wand schnell und ist nach wenigen Wochen fast nicht mehr zu sehen. Es ist auch ein wenig die Farbveränderung im Herbst oder wenn Blumen welken, wobei natürlich immer viele verschieden chemische und biologische Faktoren eine Rolle spielen.
FL: Ich kann mir keine Staub-und Steinfläche vorstellen, die etwas Zeitloses oder Lebloses hat. Für mich sind Steine in ständiger Veränderung, genau wie Bäume oder Wolken oder Menschen, sie werden nass, sie werden staubig, sie rollen rum, die mineralische Zusammensetzungen verändern sich aufgrund von Temperatur- oder Druckschwankungen, sie rutschen ab, sie spalten sich, erodieren, werden verschüttet, bröseln, ein Vogel kackt drauf, ein Bär stülpt sie um, der Fluss wäscht sie rund, und manche von ihnen fliegen Jahrmillionen lang durchs Weltall und knallen dann bei irgendjemanden durchs Dach. Kannst Du Dich noch an die herrliche Stelle bei Rico, Oscar und der Diebstahlstein von Andreas Steinhöfel erinnern? Da hat sich doch dann irgendwann herausgestellt, dass der kranke Nachbar Fitzke, der über den beiden Jungs in der Diefenbachstrasse in Berlin gewohnt hat, eine riesige Sammlung von sogenannten Zuchtsteinen hatte, die er Rico dann vererbt hat. War das nicht so, dass Fitzke bestimmte Steine miteinander gekreuzt hat, in der Hoffnung, dass sie Nachwuchs hervorbringen? Und war er nicht sogar erflogreich mit diesem sogenannten Kalbstein, der dann aufgrund seines angenommenen, hohen Wertes auch noch gestohlen wurde.
AS: Das stimmt, Steine sind nur scheinbar zeitlos, tatsächlich aber voller Geschichte und Verwandlungen. Und vermutlich ziehen mich Steine auch deshalb so an, weil sie, trotz ihrer scheinbaren Leblosigkeit und ihres unfassbaren Alters oder gerade deshalb, einen Eindruck der Geschichte und Veränderung vermitteln. Der Stein ist älter als wir Menschen und wird die Menschheit auch überdauern.
Die Schotterfläche besteht allerdings tatsächlich aus einer Mischung aus Natursteinen und aus Betonschottersteinen, einem Industrieprodukt, das eine sehr junge, ziemlich brutale und menschengemachte Geschichte in sich trägt. Es ist also eine Mischung aus natürlichem und industriellen Material, in dem feinen Sand und Staub ist die Mischung nicht mehr auseinanderzuhalten. Das Material ist in dem Sinne aber doch leblos, dass es sich ohne Fremdeinwirkung in unserer Lebenszeit kaum noch verändern wird.
Bei der Ausstellung geht es mir dabei besonders um das Verhältnis verschiedener Zeitlichkeiten und den großen Kontrast zwischen den Steinen und der Chlorophyllfläche.
FL: Ja, die Chlorophylfläche existiert in einer anderen Zeitebene als die der Steine, und beide Arbeiten nebeneinader veranlassen den Betrachter sich das jetzt im Plural vorzustellen und sich zu fragen, ob Zeit als solches eigentlich existiert oder ob es nur ein Hilfsmittel ist, die sich ständig vollziehenden Veränderungen aus dem Chaos heraus in ein kalkulierbares, dem Kapitalismus förderliches Effizienzsystem zu ziehen. Die Zeit der Uhr ist eine Illusion, sagte Einstein. Wie stellst Du Dir die Zeit der Chlorophyllfläche vor?
AS: Ich finde die Vorstellung, dass das Grün verblasst, schön, wie ein Klang, der verhallt. Man kann sich das zeitlich gerade noch vorstellen. Die Veränderung der Steine ist mir zwar bewusst, aber sie entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
FL: Ich nehme mal an dass Dein Chlorophyllbild über die Zeit verbleicht, weil das Chlorophyll, abgetrennt von der Pflanze, abstirbt. Du sagtest, Du wirst Spinat oder Brennessel mixen, was würde aber passieren, wenn Du grüne Eichenblätter oder Ahornblätter verwendest, Blätter also die sich im Herbst erst stark verfärben, bevor sie absterben? Würde Dein Wandbild dann erst durch eine Gelbphase oder durch eine Rotphase durchgehen, bevor es verbleicht?
AS: Ich habe im Frühjahr in Fachsenfeld zwei Wandmalerein gemacht mit Farben, die ich aus unterschiedlichen Blättern gekocht habe. Bei einer der Flächen mit der Farbe einer Rotbuche, war das ein wenig der Fall, die Färbung veränderte sich ein wenig von einem Rot mit Grünstich hin zu einem rötlichen Braun. Nur finden im Blatt noch viel mehr chemische Prozesse statt, als wenn die Farbe herausgelöst wird und an der Wand vergilbt oder braun wird. Aber mir würde die Idee gefallen, den ganzen herbstlichen Verfärbungsprozess an der Wand stattfinden zu lassen.
Ich denke, biologisch betrachtet, verfärbt sich isoliertes Chlorophyll selbst nicht wie ein Herbstblatt, es verblasst nur durch Licht- und Sauerstoffeinwirkung. Aber diese Sensitivität finde ich gerade interessant und natürlich hat diese grüne Fläche für mich auch eine metaphorische Bedeutung.
F.L. Wenn wir so darüber sprechen, stelle ich mir gerade vor, dass wir die Welt vielleicht ähnlich wie die Blätter wahrnehmen. Wir filtern das aus der Atmosphäre heraus, was wir direkt verarbeiten können, und das, was wir nicht zum direkten Lebenserhalt benötigen, das werfen wir als Bilder, Ideen, Illusionen und Vorstellungen in die Welt zurück. Vielleicht kann man ja deshalb auch sagen, dass jedes grüne Blatt eine Künstler/in ist, der oder die sich im Grünbereich ausdrücken.
Welche metaphorische Bedeutung hat die grüne Fläche für Dich?
AS: Das ist wunderbar formuliert. Möchte ich nichts hinzufügen.
FL: Mit Fossil stellst Du den nächsten, für mich offensichtlichen Zeitträger in the Raum. Du hast den körperliche Überrest eines versteinerten Farns auf ein Stück altes Holz gemalt, welches im Vergleich zum Farn, die laut Fossiliendefinition mindestens 10.000 Jahre sein sollte, wahrscheinlich ganz jung ist. Sagen wir einfach mal, dass das Brett auf das Du gemalt hast 30 Jahre alt ist, und der Baum von dem dieses Brett geschnitten wurde 100 Jahre alt war. Da tragen dann also 130 Jahre Realmaterial die Vorstellungskraft von 10.000 Jahren. In welcher Relation steht dazu, falls Dir dieses leicht absurde Rechenpuzzle nicht zu blöd erscheint, das Entstehungsjahr des Bildes: 2024?
AS: Genau so sehe ich das Bild auch und die Malerei fügt diesen Zeitschichten noch eine weitere, eine aktuelle hinzu, die Zeit des gemalten Bildes, die Zeit des Pinselstrichs.
FL: Zu Deiner Malerei: Die Kohlengrube ist irgendwie anders als die anderen Bilder. die Du zeigst. Das Bild hat etwas Märchenhaftes und scheint sich nicht davor zu scheuen, eine Geschichte zu erzählen. Wie ist das Bild entstanden?
AS: Das Bild ist für eine Ausstellung in einer Ruine entstanden, die mal ein Zechenhaus einer längst aufgegebenen Braunkohlegrube südlich von Berlin war. Die Ausstellung, de von Vlado Velkov kuratiert wurde, fand vor ein paar Wochen im Freien und nur an einem einzigen Tag statt. Morgens hängten wir die Bilder auf, abends wieder ab.
Das Bild zeigt das Modell dieser Braunkohletagebaulandschaft, das ich in der Nähe in einem Heimatmuseum befunden habe. Es fällt insofern heraus, weil es tatsächlich diese narrative Ebene hat: So hat es dort einmal ausgesehen… Es ist gleichzeitig aber auch eine Variation der Interieurbilder, die auch immer das Modell eines konkreten Ortes, mein Atelier, zeigen. Der Ort der Ruine und der daneben liegende See ist für mich sehr ausdrucksstark in Beziehung auf die vielen geologischen und historischen Schichten, die Transformation von Material. Es führt, wenn man so will, auch direkt zu den Atelier-Interieurs, die ich dort auch gezeigt habe. Der Brauchkohlebergbau war, wie die vielen Ziegeleien in der Gegend, mit der dort gewonnenen Braunkohle und Ton, zentrale Materialien, die das Berlin der Gründerzeit hervorgebracht haben und in der auch das Haus gebaut wurde, in dem mein Atelier ist. Das Gebäude stammt genau aus der gleichen Zeit und die Zeigelsteine, die ich in der Umgebung in Baugruben gefunden und gemalt habe, wurden möglicherweise in genau dieser Gegend hergestellt.
Der Ort der Ausstellung ist aber auch ökologisch interessant, da der Tagebau schon im 19. Jahrhundert aufgegeben wurde und die Gegend, die eigentlich eine Industriefolgelandschaft ist, längest wieder von der Natur eingenommen wurde…
F.L. Wir haben jetzt viel über die Relativität von Zeit und Wahrnehmung gesprochen, also darüber nachgedacht, wie unsere Wahrnehmung nie absolut sein kann, sondern ein Konglomerat von bestimmten Umständen ist, dass sich ständig verändert und deshalb nicht absolut sein kann. Mir macht es deshalb immer viel Spass über Deine Astarbeiten nachzudenken. Du nimmst einen Ast, der sich ja natürlicherweise zur Spitze hin verjüngt, schneidest ihn in dünne Scheiben, bohrst ein Loch in die Mitte der Scheiben und fädelst sie dann so auf eine Schnur, wie genau nach welchem Prinzip, das müsstest Du bitte noch mal erklären.
AS: Wenn ich den Ast zersägt und gelocht habe, kann ich die Reihenfolge beliebig verändern und es entstehen immer andere Muster. Ich habe auch schon mehrere Äste wieder aufgefädelt und für eine neue Ausstellung oder nur für mich wieder neu angeordnet. Das hat eher einen spielerischen Charakter, keinen systematischen. Was aber immer gleich bleibt, ist die Vorgabe, dass ich nur jeweils einen Ast für eine Arbeit verwende.
FL: Wenn ich mir die Arbeit ansehe, denke ich, dass Du durch Deinen Eingriff die Linearität unterbrochen hast. Du hast die Verjüngung des Astes zehn mal verkürzt und komprimiert. Da Du alle Teile linear aneinanderhängst, ist die Länge des Astes am Ende noch dieselbe. Die dem Ast innenwohnende Kontinuität wurde durch eine zehnfache Wiederholung einer komprimierten Form dieser Kontinuität ausgedrückt. Was mir dazu einfällt, ist Fliessbandarbeit, industrielle Effizienz, Musterekennung, Regelmässigkit, Berechenbarkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass eine maschinelle, künstliche Intelligenz die Dinge um uns herum ähnlich erkennt, oder aufteilt. Aber bevor wir die Interpretation der Arbeit vorwegnehmen, was hat Dich eigentlich dazu veranlasst, den Ast in Scheiben zu schneiden? Wie hat es angefangen mit den Astarbeiten?
AS: Für mich haben die Arbeiten nicht den Charakter von Fließbandarbeit, auch wenn es sehr repetitiv ist. Die Äste entstehen über viele Wochen oder Monate und meistens mache ich nicht nur diese Arbeit, sondern parallel andere Arbeiten, Malerei etc. Ich konzipiere meine Arbeiten auch immer so, dass ich das Allermeiste alleine machen kann und ich finde diese Unabhängigkeit auch angenehm. Du arbeitest ja meistens mit anderen Menschen zusammen, in der Regel mit Hajoe oder auch Euren Kindern. Das finde ich auch sehr schön, aber bei mir ist das nur sehr selten der Fall, ich bin eher der einsame Atelierkünstler… Bei den Ästen ist es ein sehr haptisches Arbeiten mit einem Material, bei dem der Ast genauso mitbestimmt, wie die Arbeit wird, wie ich selbst. Es ist eine Zusammenarbeit, wenn man so will, zwischen mir und dem Ast. Ein Dialog auf Augenhöhe. Der Eingriff ist schon stark, das Zersägen und Durchlochen… Aber am Ende ist auch von dem Ast noch sehr viel mitbestimmt. Ich finde das ist sehr weit weg von einer künstlichen Intelligenz, ich berühre jeden Zentimeter des Astes, jedes Segment habe ich unzählige Male in der Hand gehalten, gesägt, gelocht, geschliffen, es ist sehr körperlich, es riecht gut etc. Und wie gesagt, alleine die Aufteilung in gleiche Abschnitte ist für mich nicht gleichzusetzen mit einer mathematischen Rationalität. Unser Atem, unser Herzschlag, die Schritte, wenn wir gehen… Ich sehe da eher einen Zusammenhang in diese Richtung.
FL: Noch eine Frage: Du stellst diese Steinfläche in einer kommerziellen Galerie aus. Falls sie verkäuflich ist, was sind die Bedingungen für den Käufer? Kann er die Materialien in der Kiste besitzen, oder muss die Arbeit aufgebaut sein?
AS: Ich habe schon oft Installationen aufgebaut, auch in Galerien, die erstmal überhaupt nicht für den Verkauf bestimmt waren. Mit den Galerien einigt man sich schnell auf den Preis „auf Anfrage“ und redet nicht weiter darüber. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass nur Leute oder Institutionen Kaufinteresse an solchen Arbeiten haben, die genau wissen, auf was sie sich einlassen und mit solchen Arbeiten umgehen können. Man findet dann eine Lösung, wenn es soweit ist.
Franziska Lamprecht conducted an interview with Albrecht Schäfer by email in preparation for his exhibition “Möglichkeiten einen Stein zu betrachten” at Galerie Petra Rinck.
Franziska Lamprecht is an author and artist from upstate New York and currently lives in Taipei. She collaborates with Hajoe Moderegger under the name eteam.
FL: When I think of exhibiting dust, stones and earth in a gallery, I think of “The New York Earth Room” by Walter De Maria. In 1977, 197 cubic yards of earth were spread over 335 square feet of floor space in a loft on Wooster Street in NYC, and the installation has been maintained as a permanent sculpture by the DIA Art Foundation ever since. The work is called a sculpture, I assume partly because of its thickness of 56 cm. Your floor work, on the other hand, is flat, so you seem to be more concerned with the surface, i.e. you create a picture that does not hang on the wall but lies on the floor. Am I right or am I only making this assumption because you sent me a preview of this work as a photo, an image that I immediately associate with your painting of stones?
AS: The most important teacher for me in my art studies was Roger Ackling at Chelsea College of Art in London. He belonged to a circle of artists that also included Richard Long and Hamish Fulton. His work and he himself gave me a very formative impression of the conceptual art and land art of the 1960s, which always attracted me more than American art. Arte Povera was also important for me in this context in terms of art history. For me, the work “Dust and Stones” in its direct transfer of material from one place to another is closer to Richard Long’s early works than to Robert Smithson or Walter De Maria.
But you’re right, I also intended the work as a picture, which for me is alternately reminiscent of a lunar landscape, a Zen garden or a large still life. In this respect, of course, it has a lot to do with my painting, where I often build up and paint still lifes from stones next to the easel. I see the stones as sculptures or as mountains in a very wide, desert-like landscape. Or simply as stones.
FL: How do you go about working on the floor?
AS: At the original location, I first divide the field into squares, then collect the stones in each square separately and then recreate them square by square in the gallery. In the exhibition, however, an even area of dust or very fine sand is first sifted under the stones.
FL: You describe your work as a Nachbau (reconstruction). Why didn’t you say Umbau (conversion) or Neubau (new construction)?
AS: Umbau or Neubau sounds to me like arranging or inventing something. But my work is not about invention, but about precise observation and the transformation of this experience into another medium or another form. There is this beautiful text by Francis Ponge, “The Pine Woods Notebook“ , in which he tries to describe a pine forest and realizes in the very first sentence that he does not grasp the object exactly. The whole book is a doomed and yet very poetic attempt to translate an object into language. The text is always different from the object, but the process of approximation or transformation is interesting and says as much about the object as it does about the author and his way of thinking. This transformation and the associated attitude towards the world interests me more than reinventing something.
F.L. Yes, exactly. The Tao Te Ching says in the first chapter:
道可道。
非常道。
名可名。
非常名。
無名天地之始。
有名萬物之母。
故常無欲。
以觀其妙。
常有欲以觀其徼。
此兩者同出而異名。
同謂之玄。
玄之又玄。
衆妙之門。
“The Tao that can be told is not the eternal Tao.
The name that can be named is not the eternal name.
The nameless is the beginning of heaven and earth.
The named is the mother of ten thousand things.
Ever desireless, one can see the mystery.
Ever desiring, one can see the manifestations.
These two spring from the same source but differ in name;
this appears as darkness.
Darkness within darkness.
The gate to all mystery.”
And this is just one of probably hundreds of English translations from the Chinese. The chapters of sayings are thought to have been written down by Laozi in the 4th century BC.
Take a look at one of the German translations for comparison:
Der Weg mag gesagt,
schwerlich immerzu der Weg.
Ein Name mag genannt,
schwerlich durchgehend ein Name.
„Ohne“ benennt des Himmels und der Erde Anfang.
„Mit“ benennt aller Dinge Mutter.
Deshalb [sei] beständig ohne Wünschen,
somit erkenne ihre (winzigen) Feinheiten,
beständig mit Wünschen, somit erkenne ihre Äußerlichkeiten.
Diese Beiden (Erkenntnisweisen / Betrachtungsweisen)
[sind] gemeinsamen Ursprungs und doch verschieden genannt.
Der gemeinsamen Auffassung verborgen,
des (mystischen) Dunkels abermals Dunkel,
der zahllosen Feinheiten (Sinnes-) Tor.
This example alone shows that people have been dealing with translations and their discrepancies for thousands of years. It is probably the small subtleties of these discrepancies that make it possible for us to think about the world and our place in it in the first place. That’s also why it’s fun to look at your work. First randomly placing the stones in front of the Berghain on the gravel path, then meticulously placing the same stones in a similar formation on the gallery floor – that’s a task that, at least at the beginning, feels like something I could tackle.
But now thinking further: in 1931, the Polish-American engineer and philosopher Alfred Korzybski wrote A map is not the territory and the word is not the thing, and later the version: all models are wrong (but some are useful) became widespread. It was thus recognized that the thing itself can only ever be seen, represented or communicated in a kind of incomplete abstraction and the question now arises as to the usefulness of such activities. What about the benefits for you? Do you have aesthetic motives when you move the stones and dust from one place to another? Does your presentation of the stones on the dust look more beautiful than the gravel path could have achieved?
AS: No, the original path is always more beautiful for me, but I perhaps only perceive it through the artistic transformation. That would also be a benefit of art, if you like. This perception of the things that lie before us. I think we have to keep the curiosity we have within us alive. Otherwise we atrophy internally. But what is this curiosity directed towards? We look for it in the distance or think that it can only be achieved with high material investment or stimulants of all kinds. But we don’t actually have to look very far. This is also how I understand the title Possibilities of looking at a stone. The stone is not just the pebble by the wayside, but also the largest earthly stone, the earth itself. But about the quote from Lao-Tse: it’s hard to believe that you can find a text that is so old and sounds so current and right. And I agree with you in any case that it is these subtleties and deviations, perhaps also the spaces between the words, that are important. I’m also thinking about something else. Peter Doig once said in an interview about his paintings: “They are totally non-linguistic. There is no textual support to what you are seeing. Often I am trying to create a ‘numbness. I am trying to create something that is questionable, something that is difficult, if not impossible, to put into words. Of course Doig also talks about his pictures, and they have titles, and there is a discourse about them and so on. But he still talks about this non-textual level.
That is perhaps something else than what is mentioned in your quote, but this experience also plays a role for me. When I formulate something textually – including this text – I always feel a fundamental insecurity, which usually leads me to correct the sentences, shorten them, often leave them out, even often avoid titles. This can also simply be a weakness in the text or an artistic imprint. Nevertheless, the fascinating thing about a stone for me in this context is that it is completely indifferent to the text – and to people. The subject simply attracts me. I think this indifference is also why, as far as I know, there are no still lifes with stones in classical European art history. Everything is depicted, but the obvious, which has always been collected, has always been charged with meaning, e.g. the stones on graves, gravestones in general, etc… that the stones are nevertheless not to be found in the still lifes.
F.L. I can’t imagine that the stone itself is indifferent to either man or the textual. The stone is part of the world, just like the human being, i.e. we are in direct exchange. Do you want to deny the stones that you have painted or collected the right that they may have cast a spell over you? You say that you chose them, but perhaps it was the other way around, perhaps they chose you to enter into a special exchange with them. They obviously had something to tell you.
I’ve just looked at a painting by Gao Xu, which he painted in 1503. The title in English is: Mi Fu Bowing to a rock. The explanation is as follows: The scholar-artist Mi Fu was an eccentric of the eleventh century, and one of the four great calligraphers of the Song dynasty. It was well-known that he had a peculiar admiration for certain rocks. In this period, men of culture collected and placed in their gardens rare and unusual rocks from Lake Tai, which had become pitted and worn by the actions of wind and waves over many centuries. Mi Fu believed that some these rocks had their own souls and he was in the habit of paying them his respects, by bowing before them as if they were venerable old gentlemen. As far as the text is concerned, there is a second picture in the series. There is a man sitting in front of a large scholar’s stone with a loose roll of paper in his hand. The title of the picture is Seeking a Suitable Phrase.
AS: The stones I mean are not the special ones like the ones in the Chinese pictures, but rather the ordinary pebbles that are lying around everywhere. But you are addressing something important and fundamental. I also find it interesting because you have studied Chinese culture a lot, both contemporary and traditional, have lived in Asia for some years, currently live in Taipei and are even learning Chinese. For me, this is uncertain terrain. But I think, yes, of course we are not separate from the stone, not materially and not ecologically anyway.
I am convinced that from the stone to us there is a continuum without a boundary. I don’t mean inanimate in the sense of a subject-object separation, but in biological terms. If you now attribute something to stone that goes beyond pure materiality and our ecological connection, something that has of course always been made, the sacred stone, the stone of remembrance, ever since mankind has existed. Bredekamp writes in a text that even apes have collected stones as quasi-ritual places and that this could be one of the very first signs of culture. So this has always been the case and yet I still have difficulties following it. For me, the mountain is not calling, but we want to be called. This wish transmission, psychologically speaking, works well of course, because the stone can’t contradict, it’s perfect for it. But at the same time, when I paint stones, I sometimes think that everything could be completely different and try to listen into the stone. I would probably be one of the first to kneel down in front of the stone if it ever spoke up, but so far that hasn’t been the case.
FL: It’s valuable for me to know that your daughters will be helping you collect the stones, and I think it’s great that they’re taking part. What skills and expectations are awakened or trained in your daughters when they sit outside Berghain on the building site at the weekend and collect small stones for their father? AS: It was nice today with my daughter, we talked about all sorts of things, in between there was loud techno coming from Berghain. Further back on the wasteland, where the gravel path is, there are illegal residents who also came by and talked to us. Next door is a DIY store, then the metro with a sports field on the roof, a huge construction site where a whole district is being built, the Opernwerkstatt, the Neue Deutschland, a neighborhood garden… It’s a very fascinating corner, in the middle of Berlin and very close to our apartment. It was interesting to talk to my daughter about this place. She also had good ideas about my work, for example she said that after this work, you can do a second or further work that always removes the next layer from the path. Great idea – which, by the way, captures the flatness of the work very precisely, which is what you’re talking about…
My other daughter helped me last week. She is once again involved in the work in a completely different way because she has collected stones since she was a small child and has a very beautiful collection of stones. She has shown me beautiful stones on all her vacations and walks over the years and that’s probably why I came up with the idea of the stone still lifes.
FL: What else is there to see in the exhibition? AS: In the same room as the stone and dust surface, there will be a light green, rectangular monochrome surface measuring approx. 3 x 6 m on the wall, which is painted with almost pure chlorophyll that I make from spinach or nettles. I try to contrast the stone surface, which has something timeless and lifeless about it, with something living and changing. The leaf green, which stands for biological, plant life, fades quickly on the wall and is almost invisible after a few weeks. It is also a bit like the color change in autumn or when flowers wither, whereby of course many different chemical and biological factors always play a role.
FL: I can’t imagine a surface of dust and stone that has something timeless or lifeless about it. For me, stones are constantly changing, just like trees or clouds or people, they get wet, they get dusty, they roll around, the mineral compositions change due to temperature or pressure fluctuations, they slip, they split, erode, get buried, crumble, a bird poops on them, a bear turns them over, the river washes them round, and some of them fly through space for millions of years and then crash through someone’s roof. Can you still remember the wonderful part in Rico, Oscar and the Thief Stone by Andreas Steinhöfel? At some point it turned out that the sick neighbor Fitzke, who lived above the two boys in Diefenbachstrasse in Berlin, had a huge collection of so-called breeding stones, which he then bequeathed to Rico. Wasn’t it the case that Fitzke crossed certain stones with each other in the hope that they would produce offspring? And wasn’t he even successful with this so-called calf stone, which was then stolen due to its assumed high value?
AS: That’s right, stones are only seemingly timeless, but are actually full of history and transformation. And that’s probably why I’m so attracted to stones, because despite their apparent lifelessness and incomprehensible age, or precisely because of it, they convey an impression of history and change. Stone is older than us humans and will outlive mankind.
However, the gravel surface actually consists of a mixture of natural stones and concrete gravel stones, an industrial product with a very recent, rather brutal and man-made history. It is therefore a mixture of natural and industrial material, and in the fine sand and dust the mixture can no longer be distinguished. However, the material is lifeless in the sense that it will hardly change in our lifetime without external influence.
In the exhibition, I am particularly interested in the relationship between different temporalities and the great contrast between the stones and the chlorophyll surface.
FL: Yes, the chlorophyll surface exists in a different time plane than that of the stones, and both works side by side cause the viewer to imagine this now in the plural and to ask themselves whether time as such actually exists or whether it is merely a tool to pull the constantly occurring changes out of chaos into a calculable efficiency system that is conducive to capitalism. The time of the clock is an illusion, said Einstein. How do you imagine the time of the chlorophyll surface?
AS: I find the idea of the green fading beautiful, like a sound that fades away. You can just imagine it in time. I am aware of the change in the stones, but it is beyond my imagination. FL: I assume that your chlorophyll image fades over time because the chlorophyll, separated from the plant, dies. You said you were going to mix spinach or nettle, but what would happen if you used green oak leaves or maple leaves, i.e. leaves that turn a lot of color in the fall before they die? Would your mural then go through a yellow phase or a red phase before it fades?
AS: I did two murals in Fachsenfeld in the spring with colors that I cooked from different leaves. On one of the surfaces with the color of a copper beech, that was a little bit the case, the color changed a little bit from a red with a green tinge to a reddish brown. But there are many more chemical processes taking place in the leaf than when the color is dissolved out and turns yellow or brown on the wall. But I would like the idea of letting the whole autumnal discoloration process take place on the wall.
I think, biologically speaking, isolated chlorophyll itself doesn’t discolor like an autumn leaf, it only fades when exposed to light and oxygen. But I find this sensitivity interesting and, of course, this green surface also has a metaphorical meaning for me.
F.L. When we talk about it like this, I imagine that we perhaps perceive the world in a similar way to the leaves. We filter out of the atmosphere what we can process directly, and what we don’t need to sustain life directly, we throw back into the world as images, ideas, illusions and imaginations. Perhaps this is why we can also say that every green leaf is an artist who expresses himself or herself in greenery.
What metaphorical meaning does the green area have for you?
AS: That’s wonderfully put. I don’t want to add anything.
FL: With Fossil you put the next, for me, obvious time carrier in the room. You have painted the physical remains of a fossilized fern on a piece of old wood, which is probably quite young compared to the fern, which according to the fossil definition should be at least 10,000 years old. Let’s just say that the board you painted on is 30 years old, and the tree from which this board was cut was 100 years old. So 130 years of real material carry the imagination of 10,000 years. If this slightly absurd arithmetic puzzle doesn’t seem too stupid to you, how does the year the painting was created relate to this: 2024?
AS: That’s exactly how I see the picture, and painting adds another, a current one to these layers of time, the time of the painted picture, the time of the brushstroke.
FL: About your painting: The coal mine is somehow different from the other pictures you show. The picture has a fairy-tale quality and doesn’t seem to shy away from telling a story. How was the picture created?
AS: The picture was created for an exhibition in a ruin that used to be a colliery building in a long abandoned brown coal mine south of Berlin. The exhibition, which was curated by Vlado Velkov, took place a few weeks ago outdoors and on a single day. We hung up the pictures in the morning and took them down again in the evening.
The picture shows the model of this open-cast lignite mining landscape that I found in a local museum nearby. It stands out because it actually has this narrative level: this is what it used to look like there… At the same time, it is also a variation on the interior pictures, which always show the model of a specific place, my studio. The site of the ruin and the lake next to it is very expressive for me in relation to the many geological and historical layers, the transformation of material. If you like, it also leads directly to the studio interiors that I also showed there. Industrial coal mining, like the many brickworks in the area, with the brown coal and clay extracted there, were central materials that produced Berlin in the Gründerzeit and in which the house in which my studio is located was also built. The building dates from exactly the same period and the bricks that I found and painted in excavations in the area were probably made in this very area. The location of the exhibition is also interesting from an ecological point of view, as the open-cast mine was abandoned in the 19th century and the area, which is actually an industrial landscape, has long since been reclaimed by nature…
F.L. We have now talked a lot about the relativity of time and perception, i.e. about how our perception can never be absolute, but is a conglomerate of certain circumstances that is constantly changing and therefore cannot be absolute. That’s why I always enjoy thinking about your branch work. You take a branch, which naturally tapers towards the tip, cut it into thin slices, drill a hole in the middle of the slices and then thread them onto a string.
AS: Once I have sawn the branch into pieces and punched holes in it, I can change the order as I wish and always create different patterns. I have also rethreaded several branches and rearranged them for a new exhibition or just for myself. This has more of a playful character than a systematic one. But what always remains the same is that I only use one branch for each work.
FL: When I look at the work, I think that you have interrupted the linearity with your intervention. You have shortened and compressed the taper of the branch ten times. Since you have connected all the parts linearly, the length of the branch is still the same at the end. The continuity inherent in the branch was expressed by repeating a compressed form of this continuity ten times. What comes to mind is assembly line work, industrial efficiency, pattern recognition, regularity, predictability. I could imagine a machine, artificial intelligence recognizing or dividing things around us in a similar way. But before we anticipate the interpretation of the work, what actually prompted you to cut the branch into slices? How did the branch work start?
AS: For me, the work does not have the character of assembly line work, even if it is very repetitive. The branches are created over many weeks or months and I usually don’t just do this work, but also other work, painting etc. at the same time. I always design my work in such a way that I can do most of it on my own and I find this independence pleasant. You mostly work together with other people, usually with Hajoe or your children. I also find that very nice, but that’s rarely the case for me, I’m more of a solitary studio artist… With the branches, it’s a very haptic way of working with a material where the branch has just as much say in how the work turns out as I do. It’s a collaboration, if you like, between me and the branch. A dialog at eye level. The intervention is already strong, the sawing and piercing… But in the end, the branch still has a lot of influence. I think it’s very far removed from artificial intelligence, I touch every centimeter of the branch, I’ve held every segment in my hand countless times, sawed, perforated, sanded, it’s very physical, it smells good, and so on. And as I said, the division into equal sections alone does not equate to mathematical rationality for me. Our breath, our heartbeat, the steps we take when we walk… I see more of a connection in this direction.
FL: One more question: You are exhibiting this stone surface in a commercial gallery. If it is for sale, what are the conditions for the buyer? Can they own the materials in the box, or does the work have to be assembled?
AS: I have often set up installations, even in galleries, that were not initially intended for sale. With the galleries, you quickly agree on the price “on request” and don’t talk about it any further. However, I have also found that only people or institutions who know exactly what they are getting into and can deal with such works are interested in buying them. You then find a solution when the time comes.
Krobath Wien @ Petra Rinck
Düsseldorf Cologne -Open Galleries 2024
Friday 30 Aug 6-9 pm
Saturday 31 Aug 1-7 pm
Sunday 1 Sept 1-5 pm
The exhibition IRREGULAR NEWS brings the three artistic positions into a considered context, which allows the common analytical interests, the individual and subtleties of the works shown to emerge, and above all to work together for the first time. What all artists have in common is that their place of work and life is in Vienna and that all phases of their artistic production, as well as their authorship, are always reflected in their artistic approach and work. The results of their investigations and analyses, and especially the locations of their presentation, their spatial structure, are an equal part of the artistic discussion. In the exhibition situation itself, this can lead to spatial specifics being addressed and, furthermore, to moments in which transitions between the works become fluid and sensitizations that begin through a work by one artist find a possible continuation in the work close to it by another. Already within the works, contrasts in the nature of the materials used can lead to openings in perception and broadening of perspective. Sofie Thorsen marks the wall background of the gallery with the instrument of the chalk line in an expansive installation through quick and precarious markings, in front of which selected stone showpieces find their place. The resulting tension between accurate chalk lines and the eternal, natural formation of the stones is transparent in the notational nature of the presentation. The novelty value of Irregular News, which is assigned to the exhibition title despite the irregularities also mentioned, can also aim at a recollection of historical knowledge regarding social reproduction, and thus also at details of former unrealized urban planning models such as Llano del Rio (Antelope Valley, California, 1911–1914), by the feminist city planner Alice Constance Austin, to whom Jenni Tischer refers concretely and diagrammatically in her canvas formats and sculptural sketches. The artists bring into focus approaches to artistic work on infrastructures, highlighting their tools, the radius of their use and also how within their fields of activity and criticism, citing or exposing a historical reference. The choice of materials, which are often used contrary to their usual use due to additional interesting characteristics, all of this unites these three artistic processes in attitude, standards and care, in addition to their feminist convictions. In Melanie Ender‘s works, the raw material plasterboard, in addition to its already multi-flexible application options, also becomes the venue for fine cuts and inscriptions, which, however, end just before the panels could break. By outlining and recording the work steps while hinting at the impending result of further repetition, Ender undermines and focuses her authorship on one of her signature materials itself. The fact that the materials and techniques listed now often stand for and are used for architectural planning measures in models, conversions, designs, etc. is just as remarkable in this context as is the scope and incompleteness of the otherwise independent artistic projects by Ender, Thorsen and Tischer that here in Irregular News are worth seeing short-circuited.
Christian Egger lives as author and musician in Vienna (AT). He is one of the publishers of the artist fanzine www.ztscrpt.net. A selection of his essays and critics have been published at Floating Opera Press, Berlin (DE) in 2020.
Die Ausstellung IRREGULAR NEWS, bringt die drei künstlerischen Positionen in einen überlegten Zusammenhang, der gerade die gemeinsamen analytischen Interessen, die Einzel- und Feinheiten der gezeigten Arbeiten hervortreten, aber vor allem erstmals zusammenwirken lassen kann. Allen Künstlerinnen ist gemein, dass sie in Wien ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt haben und in ihrem künstlerischen Vorgehen und Wirken, alle Phasen ihrer künstlerischen Produktion, sowie ihre Autor:innenschaft darin stets mitreflektiert werden. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und Analysen, und besonders die Orte ihrer Präsentation, ihre räumliche Struktur, sind dabei ebenbürtiger Teil der künstlerischen Auseinandersetzung.
In der Ausstellungssituation selbst, kann dies zu Adressierungen von räumlichen Spezifika und weiters zu Momenten führen, in denen Übergänge zwischen den Arbeiten fließend werden und einsetzende Sensibilisierungen durch eine Arbeit der einen Künstlerin, in der Arbeit nahebei der anderen, eine mögliche Fortsetzung finden.
Bereits innerhalb der Arbeiten können Gegensätzlichkeiten in der Beschaffenheit der verwendeten Materialien zu Öffnungen in der Wahrnehmung und Erweiterungen der Perspektive führen. Sofie Thorsen kennzeichnet den Wandhintergrund der Galerie mit dem Instrument der Schlagschnur in raumgreifenden Installationen durch schnelle und prekäre Markierungen, vor denen wiederum ausgewählte Schaustücke aus Stein ihren Platz finden. Die dadurch entstehende Spannung zwischen akkuratem Schlagschnurstrich und ewiger, natürlicher Formung der Steine wird in dem Notationscharakter der Präsentation nachvollziehbar. Der, dem Ausstellungstitel trotz ebenfalls angeführter Irregularitäten zugewiesene Neuigkeitswert der Irregular News kann auch auf Wiederbesinnung historischen Wissens bzgl. sozialer Reproduktion zielen, somit auch auf Details etwa einstiger nicht realisierter städteplanerischer Modelle wie Llano del Rio (Antelope Valley, Kalifornien, 1911–1914), der feministischen Architektin Alice Constance Austin verweisen, auf welche sich Jenni Tischer in ihren Leinwandformaten und skulpturalen Skizzen konkret und diagrammatisch vermittelnd bezieht. Die Künstler:innen rücken Ansätze einer künstlerischen Arbeit an Infrastrukturen ins Blickfeld, stellen dabei ihr Werkzeug, den Radius dessen Einsatzes und auch das Wie innerhalb ihrer Tätigkeits- und Kritikfelder mit aus, führen einen historischen Bezug mit an oder legen ihn frei. Auch die Wahl der oft gegen ihren üblichen Einsatz verwendeten Materialien aufgrund zusätzlich interessierender Charakteristika, all das vereint diese drei künstlerischen Verfahren in Haltung, Anspruch und Sorgfalt, zusätzlich zur feministischen Grundüberzeugung. In den Arbeiten von Melanie Ender wird das Ausgangsmaterial Gipskarton neben seiner ohnehin multiflexiblen Verwendungsoptionen, auch zum Aufführungsort von feinen Einschnitten und Beschriftungen, die aber knapp vor Bruch der Platten enden. Im Skizzieren und Festhalten der Arbeitsschritte bei Andeutung des drohenden Resultats in Folge weiterer Wiederholung, unterminiert und fokussiert Ender ihre Autor:innenschaft auf einer ihrer signature materials selbst. Das die nun angeführten Materialien und Techniken oft für Maßnahmen der architektonischen Planung im Model, Umbau, Entwurf etc. stehen und Einsatz finden, ist in diesem Zusammenhang ebenso bemerkenswert, wie es zudem Umfang und Unabgeschlossenheit der sonst unabhängigen, hier in Irregular News aber umfassend und sehenswert kurzgeschlossenen künstlerischen Projekte von Ender, Thorsen und Tischer beschreibt.
Christian Egger lebt als Künstler, Autor und Musiker in Wien (AT). Er ist Mitherausgeber des Künstler*innen-Fanzines www.ztscrpt.net. Eine Auswahl seiner Essays und Kritiken erschien 2020 bei Floating Opera Press, Berlin (DE).
düsseldorf photo+
The first man-made photograph of the entire planet Earth, Nasa image: AS-16-2593, original chromogenic print, 1968.
The historic moment when man first left his home planet was marked by the Apollo 8 mission in 1968. This was a milestone for human consciousness, as William Anders, James Lovell and Frank Borman were the first people to see the Earth as a sphere floating in space.
On December 25, 1968, a few days after this event, the poet Archibald McLeish wrote in the New York Times: „To see the earth as it really is, small and blue and beautiful in the eternal stillness in which it floats, is to see ourselves as riders together on the earth, brothers on this bright loveliness in the eternal cold – brothers who now know that they really are brothers.“
Four hours and 36 minutes after the launch of the rocket and from a distance of around 27,000 km, William Anders took the first photo of planet Earth.
The NASA picture described here, which can be seen in the exhibition, outlines the cosmos of ideas of artist friends Tomas Kleiner and Aurel Dahlgrün. Both studied at the Düsseldorf Art Academy and, as immediate studio neighbors, are in regular, intensive exchange about their work. This results in joint projects and exhibitions such as this one.
The thematic worlds of both artists revolve around physical phenomena such as gravity and weightlessness. One is addicted to water, the other to air. At the same time, both are concerned with exposing themselves to a specific physical experience and thus simultaneously changing and expanding their own perception.
With one jump on earth, we can move our body an average of half a meter into the air. Then gravity takes hold and pulls us back after barely a second. Jumps on the moon or other smaller planets are much higher. A person could jump several meters upwards here and leave the surface for several seconds.
To imitate this moment of weightlessness on Earth, Dahlgrün dives. When diving, he can influence the feeling of mass attraction and feel like an astronaut.
This prompts him to regularly go on expeditions, for example to the Greenland pack, where he finds massive and fragile landscapes that seem to be on an alien planet.
The dives that led to the works of art in the exhibition were carried out by the artist in a lake near Düsseldorf at different depths. At his dive site, the bottom is not visible, creating the feeling of floating in an endless space. He dives as an apnoea diver, i.e. without an oxygen tank, using only the air that flows into his lungs through a concentrated breath shortly before descending. He uses the trained lung volume to exhale individual air bubbles, which then move to the surface. The larger the air bubbles are, the faster they move upwards through the clear lake water. Recordings of these dives can be seen in the multi-channel video installation ‚Observations in Breaths‘ in the back room of the gallery. This is continued thematically in photographic works using the intaglio printing process, which are also presented in this room.
Meanwhile, the unpredictability of the complex medium of „wind“ inspires Tomas Kleiner to create floating experiments in the air – sometimes with a paraglider at the highest heights, sometimes with floating aerial objects on the coast, or with performative jumping and dropping actions from towers, bridges and buildings.
A video projection by Kleiner can be seen in the darkened front exhibition space of the gallery. The artist can be seen with a plant in his arms, floating freely in front of a blue sky. A physical exercise for a cross-species escape scenario of humans and plants. The footage was recorded as part of his exhibition at the Kunstverein Ulm (ON FIRE – permanent emergency, 2023), in which he tested the escape practice of jumping into a jumping cushion, which is only used in extreme emergencies – here in the form of a human-plant tandem jump.
The extremely slowed-down high-speed shots and the video editing that obscures the spatiality evoke a poetic moment of floating and thus feel the decisive difference between flying and falling, between lightness and heaviness. In this bizarre way, an existential rescue maneuver is combined with a poetic dance piece, an emergency scenario with an inter-plant-human pas de deux. An interspecies floating care, or a mutual clinging to each other in a deep fall? Indirectly, this raises questions about the current social situation and how we deal with the various crises.
The installation can be viewed by looking at the torn open ceiling structure of the gallery. The reclining cushion object positioned under the projection, sewn from former rescue parachutes, was specially made by Kleiner for the installation and is intended to invite visitors to sit down on it to watch the video.
Kleiners works, which involve various organisms and natural forces as collaborators, are based on a question that has driven the artist for several years. Under the heading of ‚plant flexibilization‘, he devotes himself to the following problem with a pronounced sense for the equal treatment of everything that exists: Why should humans be able to flee and migrate from threatening, self-inflicted environmental changes, but not other living beings? Consequently, the artist also makes the technical aids of humans available to other actors such as mosses, sponges, water lilies and potatoes.
In the brightly lit rear exhibition space, the works of both artists overlap. Floating „aeronauts“ equipped with living plant material glide – in packs or as loners, driven by the movement of the visitors – through the glaring room, past images of dancing air bubbles in still waters, past prints of strangely icy water landscapes, past seemingly old and at the same time highly topical NASA images of the earth floating in empty space.
Die erste von Menschen gemachte Fotografie des gesamten Planeten Erde, Nasa-Bild: AS-16-2593, chromogener Original-Abzug, 1968.
Der historische Moment, in dem der Mensch erstmals seinen Heimatplaneten verließ, wurde 1968 durch die Apollo 8 Mission markiert. Für das menschliche Bewusstsein war dies ein Meilenstein, denn William Anders, James Lovell und Frank Borman sahen als erste Menschen die Erde als eine im Weltraum schwebende Kugel.
Am 25. Dezember 1968, wenige Tage nach diesem Ereignis, schrieb der Dichter Archibald McLeish in der New York Times: „Die Erde so zu sehen, wie sie wirklich ist, klein und blau und schön in der ewigen Stille, in der sie schwebt, bedeutet, uns selbst als gemeinsame Reiter auf der Erde zu sehen, als Brüder auf dieser hellen Lieblichkeit in der ewigen Kälte – Brüder, die jetzt wissen, dass sie wirklich Brüder sind.“
Vier Stunden und 36 Minuten nach dem Start der Rakete und aus einer Entfernung von etwa 27.000 km schoss William Anders das erste Foto des Planeten Erde.
In dem hier beschriebenen NASA-Bild das in der Ausstellung zu sehen ist, wird der Gedankenkosmos der Künstlerfreunde Tomas Kleiner und Aurel Dahlgrün skizziert. Beide haben an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert und sind als unmittelbare Studionachbarn in regelmäßigem, intensivem Austausch über ihre Arbeit. So entstehen auch immer wieder gemeinsame Projekte und Ausstellungen wie diese.
Die Themenwelten beider Künstler kreisen um physikalische Phänomene wie Gravitation und Schwerelosigkeit. Der eine ist dem Wasser, der andere der Luft verfallen. Gleichzeitig geht es beiden darum, sich einer spezifischen körperlichen Erfahrung auszusetzen und damit gleichzeitig die eigene Wahrnehmung zu verändern und zu erweitern.
Mit einem Sprung auf der Erde können wir unseren Körper durchschnittlich einen halben Meter in die Höhe bewegen. Dann greift die Schwerkraft und zeiht uns nach kaum einer Sekunde zurück. Sprünge auf dem Mond oder auf anderen kleineren Planeten sind weitaus höher. Mehrere Meter könnte ein Mensch hier nach oben springen und für mehrere Sekunden die Oberfläche verlassen.
Um diesen Moment der Schwerelosigkeit auf der Erde zu imitieren, taucht Dahlgrün. Beim Tauchen kann er das Gefühl der Massenanziehung beeinflussen und sich wie ein Astronaut fühlen.
Dies veranlasst ihn, sich regelmäßig auf Expeditionen wie beispielsweise ins Grönländische Packeins zu begeben, um dort massive wie fragile Landschaften vorzufinden, die wie auf einem fremden Planeten wirken.
Die Tauchgänge, die zu den Exponaten in der Ausstellung führten, hat der Künstler in einem See bei Düsseldorf in unterschiedlichen Tiefen durchgeführt. An seinem Tauchplatz ist der Grund nicht sichtbar, wodurch das Gefühl entsteht, in einem endlosen Raum zu schweben. Die Tauchgänge praktiziert er als Apnoetaucher, also ohne Sauerstoffflasche, nur mit der Luft, die kurz vor dem Abtauchen durch einen konzentrierten Atemzug in seine Lunge strömt. Das trainierte Lungenvolumen nutzt er, um einzelne Luftblasen auszuatmen, die sich dann zur Wasseroberfläche bewegen. Je größer die Luftblasen sind, desto schneller bewegen sie sich durch das klare Seewasser nach oben. Aufnahmen dieser Tauchgänge sind in der Mehrkanal-Video-Installation ‚Beobachtungen in Atemzügen‘ im hinteren Raum der Galerie zu sehen. Thematisch wird dies in fotografischen Arbeiten im Tiefdruckverfahren weitergeführt, die ebenfalls in diesem Raum präsentiert sind.
Die Unvorhersehbarkeit des komplexen Mediums „Wind“ inspiriert Tomas Kleiner derweil zu schwebenden Experimenten in der Luft – mal mit Gleitschirm in höchsten Höhen, mal mit schwebenden Luft-Objekten an der Küste, oder mit performativen Sprung- und Abwurf-Aktionen von Türmen, Brücken und Gebäuden.
Im abgedunkelten vorderen Ausstellungsraum der Galerie ist eine Videoprojektion von Kleiner zu sehen. Man sieht den Künstler mit einer Pflanze im Arm, sich frei schwebend vor blauem Himmel bewegen. Eine körperliche Übung für ein artenübergreifendes Entfluchtungs-Szenario von Mensch und Pflanze. Aufgenommen wurde das Filmmaterial im Rahmen seiner Ausstellung im Kunstverein Ulm (ON FIRE – permanent emergency, 2023), bei der er die nur im äußersten Notfall angewendete Entfluchtungs-Praxis des Sprungs in eine Sprungpolster erprobte – hier in Form eines menschlich-pflanzlichen Tandem-Sprungs.
Die extrem verlangsamten Highspeed-Aufnahmen sowie der die Räumlichkeit verunklärende Videoschnitt evozieren dabei einen poetischen Moment des Schwebens und ertastet damit den entscheidenden Unterschied zwischen Fliegen und Fallen, zwischen Leichte und Schwere. So verbindet sich auf bizarre Weise ein existenzielles Rettungsmanöver mit einem poetischem Tanz-Stück, Notfall-Szenario mit einem zwischen-pflanz-menschlichen Pas de deux. Eine Artenübergreifend schwebende Fürsorge also, oder doch ein gegenseitiges aneinander Festklammern im tiefen Fall? Indirekt stellen sich dabei Fragen über die aktuelle gesellschaftliche Situation und unseren Umgang mit den diversen Krisen.
Betrachtet werden kann die Installation mit dem Blick an die aufgerissene Deckenstruktur der Galerie. Das unter der Projektion positionierte, aus ehemaligen Rettungsschirmen genähte Liegepolster-Objekt wurde von Kleiner eigens für die Installation gefertigt und soll die Besucher:innen dazu einladen, sich für die Betrachtung des Videos darauf niederzulassen.
Kleiners Werke, die diverse Organismen und Naturkräfte als Kollaborateur:innen einbeziehen, beruhen auf einer Fragestellung, die den Künstler seit mehreren Jahren antreibt. Unter dem Stichwort der ‚Pflanzenflexibilisierung‘ widmet er sich mit ausgeprägtem Sinn für die gleichberechtigte Behandlung alles Seienden folgender Problematik: Wieso sollte der Mensch vor bedrohlichen, selbstverschuldeten Umweltveränderungen fliehen und migrieren können, andere Lebewesen aber nicht? Die technischen Hilfsmittel des Menschen stellt der Künstler folglich auch anderen Akteur:innen wie Moosen, Schwämmen, Wasserlilien und Kartoffeln zur Verfügung.
Im hell erleuchteten hinteren Ausstellungsraum überschneiden und überlagern sich die Arbeiten beider Künstler. Schwebende mit lebendem Pflanzen-Material bestückte „Aeronauten“ gleiten – im Rudel oder als Einzelgänger, angetrieben von der Bewegung der Besucher:innen durch den grell erscheinenden Raum, vorüber an Aufnahmen tänzelnder Luftblasen im stillen Gewässer, vorüber an Drucken fremdartig vereister Wasserlandschaften, vorüber an alt erscheinenden und zugleich hochaktuellen Nasa-Aufnahmen der im leeren Raum schwebenden Erde.
Line Lyhne’s first solo exhibition at Petra Rinck Galerie is a celebration of fussy attention to detail and care. Terms that are historically associated with artisanal production and read as feminine and allegedly inferior manufacturing processes. Industrial production, however, is considered efficient and precise. Reflecting this binary cliché, the works in A fussiness inside give the impression of being mass-produced, as if they rolled off an assembly line, yet are meticulously handcrafted. The three work groups in the exhibition trace the pervasive veilings and mystifications of capitalism and the resulting alienation of people from their products and processes. In this way, the artist encourages a critical engagement with these terms and reassigns agency back to the materials themselves.
Lyhne’s work group Bürolandschaft (2023), consisting of geometrically minimalist steel sculptures, are modern ghosts from a post-Fordism past that have long since forfeited the promise of productivity, flexibility and availability. The sculptures are based on a modern, simple but highly functional design of office furniture, but are rendered non-functional at the same time. They appear as affectless shadow beings, spatial pencil drawings of their iconic predecessors. They cannot be used to sort files or categorize other objects. They give the impression of having been industrially manufactured, but are actually handmade by Lyhne. Round steel rods are welded into complex geometric bodies, all of which differ in height, width and depth and do not agree on a uniform form. The artist further individualizes each of her sculptures by integrating found objects such as keys, organic forms in the rods and handmade objects such as blown glass. The electrochemical or heat-based coatings, such as chrome plating or galvanizing, leave their marks. The artist exhibits these supposed defects and thus the process of material transformation. Bürolandschaft challenges the dualism of handmade and industrial production and opposes the common notion that industrial production is independent of workers, thus emphasizing the socio-economic perspective of industrial labour.
The artist positions her work in the concept of “Autoprogettazione” by Enzo Mari through the accessibility of construction. In 1974, the Italian designer published the first edition of “Autoprogettazione”, an instruction manual for a series of easy-to-assemble furniture pieces that could be made by anyone with the simplest of tools. The manual was based on elementary building plans and provided an understanding of the basic structural components of an object, but also encouraged users to execute the projects in different ways and customize details or shapes. Without pursuing Mari’s didactic approach, Lyhne’s processes critically engage with the industrial production contexts of her materials. Her sculpture is research through practice, critical understanding through making.
Making and method are also the focus of the second group of works, which comprises of tiled mosaics, of which four form two diptychs. Lyhne composes her abstract Reliefs (2024) from industrially manufactured tile slabs, which she disassembles and reassembles into her own constellations. In contrast to historical mosaics, in which the size of the individual pieces is not determined, Lyhne’s compositions are based on the smallest unit, the smallest industrially producible tile – a pixel. In this way, Reliefs, like digital imagery, are created on a grid. In keeping with Rosalind Krauss’s modernist grid, the artist thus creates the impression of order and lends her works a seriality through repetitive patterns, uniform structures and the possibility of reproduction. While these works have a handcrafted quality through their making, the grid in this case allows Lyhne to distance herself from personal expression to focus instead on the systematic exploration of form and space. The artist creates a sense of spatial ambiguity and permeability within the grid, despite its rigid appearance. By overlapping lines and meanings, manipulating scale and attributions, Lyhne destabilizes the viewer’s perception of space and challenges conventional assumptions on notions of depth, perspective and context.
Lyhne’s investigation of the social and cultural hierarchies of materials and objects, which is present in all of her works, is fleshed out in new stone sculptures. Entanglements (2024) are rough stone cuts from the quarry that become displays for small everyday objects such as keys, coins, pens and USB sticks. The artist has carved the shapes of these objects into the raw, uncut surface of the stones, so that they easily find their place, but also leave a moulded imprint in their absence. In the material encounter between stone and object, raw and finished material, their respective biographies, attributions and entanglements are revealed, merged and permeated. The stone appears as an anonymous fragment, as one among many. Its specific material properties disappear in the mass of the quarry and its personal qualities stem exclusively from the extraction industry. Its industrial origin is its only signifier. The everyday objects, on the other hand, are personally and culturally charged objects. They come from a specific household and have intimate relationships with people. They tell layered social stories of movement, purpose and emotion. By emphasizing their sociality, however, their political, economic and ecological contexts remain obscured. Lyhne complements and entangles the attributions and elisions of both parts, opening them up to alternative conceptions of matter and process and their exchange. Entanglements are material and conceptual amalgamations in which subject-object relations are reciprocal. In this way, stone and product are understood as equal parts of a global circulation of raw materials, resources and ideas.
In her work, Lyhne detaches material from its purely physical or even artistic field of reference and contextualizes it according to its non-artistic use: industry, market, circulation, extraction and labour. The artist’s acknowledgement of often hidden production contexts of the objects and materials she works with, coupled with the ambiguity she ascribes them, restores the complexity these objects and materials always had but are obscured by the capitalist mode of production. Her materials are shaped by historical, social and technological formations and developments, cultural contexts and individual perspectives. Lyhne’s concept of material thus becomes permeable to external influences and generates dynamic, creative and ethical relations. Fussiness is both Lyhne’s approach and matter’s innate complexity and agency.
Lyhne’s craft sensibility replaces industrial reproducibility in her work. Her work is at odds with the naivety of materials and the coherence of processes in the capitalist system. By laying her physical process bare in the works, the artist both highlights and further augments their plurality: corporeal and highly mechanical; bureaucratic and personal; private and social. They are orderly and structured, as well as playful and ambiguous. Lyhne’s sensibility manifests itself physically and releases unbridled energy. She exposes the notion of high and low art forms and highlights the differences in ideologies of value and taste. It is Lyhne’s very way of making that respects the vibrant character of matter and enables her to layer and intertwine complex levels of meaning.
Alke Heykes
Line Lyhnes erste Soloausstellung in der Petra Rinck Galerie ist ein Bekenntnis zur fussiness – zur kleinlichen Sorgfalt und Detailverliebtheit. Begriffe also, die überwiegend mit handwerklicher Herstellung in Verbindung gebracht und historisch auch als weiblich und angeblich minderwertig gelesen werden. Industrielle Fertigung hingegen gilt als effizient und präzise. Entgegen diesem binären Klischee erwecken die Werke in A fussiness inside den Anschein von massen-produzierten, vom Fließband gerollten Waren und sind dennoch akribisch von Händen gefertigt. Die drei Werkgruppen in der Ausstellung kommen damit den allgegenwärtigen Verschleierungen und Mystifizierungen des Kapitalismus und der damit zusammenhängenden Entfremdung des Menschen von seinen Produkten und Prozessen auf die Spur. Auf diese Weise regt die Künstlerin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Begriffen an und überträgt den Materialien selbst wieder die Handlungsmacht.
Lyhnes Werkgruppe Bürolandschaft (2023) aus geometrisch minimalistischen Stahlskulpturen sind moderne Geister aus einem vergangenen Postfordismus, die das Versprechen von Produktivität, Flexibilität und Verfügbarkeit längst verwirkt haben. Die Skulpturen sind angelehnt an modernes, simples, aber hocheffizientes Design von Büromobiliar und sind gleichzeitig funktionslos. Sie sind affektlose Schattenwesen, räumliche Bleistiftzeichnungen ihrer ikonischen Vorgänger. In ihnen lassen sich keine Aktenordner sortieren oder andere Objekte kategorisieren. Sie erwecken den Eindruck industriell gefertigt worden zu sein, sind aber in Handarbeit von Lyhne und anderen gefertigt. Rundstäbe aus Stahl formen komplexe geometrische Körper, die sich alle in Höhe, Breite, Tiefe unterscheiden und sich nicht auf eine einheitliche Form einigen wollen. Die Künstlerin individualisiert jede ihrer Skulpturen weiter durch die Integration von gefundenen Objekten, wie Schlüssel, verschlungene Formen im Gestänge und handgearbeitete Objekte, wie geblasenes Glas. Die elektrochemischen und hitzebasierten Oberflächenbehandlungen, wie die Verchromung oder die Verzinkung, hinterlassen ihre Spuren. Die Künstlerin stellt diese vermeintlichen Fehler und damit den Prozess der Materialverarbeitung aus. Bürolandschaft fordert den Dualismus von handgefertigter und industrieller Produktion heraus und stellt sich gegen die gängige Vorstellung, dass industrielle Produktion unabhängig vom Menschen sei und hebt so die sozioökonomische Perspektive industrieller Arbeit hervor.
Die Zugänglichkeit ihrer Konstruktion verortet die Skulpturengruppe in das Konzept der „Autoprogettazione“ von Enzo Mari. Im Jahr 1974 veröffentlichte der italienische Designer die erste Ausgabe von “Autoprogettazione”, ein Konstruktionshandbuch für eine Reihe von mühelos zusammenbaubaren Möbeln, die von jedem mit einfachsten Mitteln, wie Holzbrettern, Hammer und Nägeln hergestellt werden konnten. Das Handbuch basierte auf elementaren Bauplänen und vermittelte ein Verständnis für die grundlegenden strukturellen Komponenten eines Objekts, ermutigte die Benutzer*innen aber auch, die Projekte auf unterschiedliche Weise auszuführen und Details oder Formen anzupassen. Ohne Maris didaktischen Ansatz zu verfolgen, versteht Lyhne ihre Verfahren als kritische Auseinandersetzung mit den industriellen Produktionszusammenhängen ihrer Materialien. Ihre Skulptur ist Forschung durch Praxis, kritisches Verstehen durch das Machen.
Die Machart und Methode sind auch in der zweiten Werkgruppe zentrale Aspekte. Reliefs (2024) sind Mosaike und umfassen zwei Diptychons. Lyhne komponiert diese abstrakten Werke aus industriell gefertigten Fliesenmatten, die sie zerlegt und zu eigenen Konstellationen zusammenfügt. Im Gegensatz zu historischen Mosaiken, bei denen die Größe der Einzelteile nicht bestimmt ist, basieren Lyhnes Kompositionen auf einer kleinsten Einheit, der kleinsten industriell herstellbaren Fliese – einem Pixel. Sie erstellt Reliefs, wie digitale Bilder, auf einem Raster. Dem modernist grid von Rosalind Krauss entsprechend, schafft die Künstlerin so den Eindruck von Ordnung und verleiht ihren Arbeiten eine Serialität durch sich wiederholende Muster, einheitliche Strukturen und die Möglichkeit der Reproduktion. Diese Werke haben zwar eine handwerkliche Qualität durch ihre Herstellung, das Gitter erlaubt Lyhne in diesem Fall jedoch sich vom persönlichen Ausdruck zu distanzieren, um sich stattdessen auf die systematische Erforschung von Form und Raum zu konzentrieren. Trotz des starren Erscheinungsbildes erzeugt das Gitter ein Gefühl der räumlichen Ambiguität und Durchlässigkeit. Durch die Überlappung von Linien und Bedeutungen, durch die Manipulation des Maßstabs und der Zuschreibungen destabilisiert Lyhne die Raumwahrnehmung der Betrachtenden und stellt konventionelle Vorstellungen von Tiefe, Perspektive und Kontext in Frage.
Die Untersuchung der sozialen und kulturellen Hierarchien von Materialien und Objekten, die in all ihren Arbeiten präsent ist, vertieft Lyhne in neuen Steinskulpturen. Entanglements (2024) sind rohe Steinstücke aus dem Steinbruch, die zu Displays für kleine Alltagsgegenstände wie Schlüssel, Münzen, Stifte und USB-Sticks werden. Die Künstlerin hat die Formen dieser Gegenstände in die rohe, ungeschliffene Oberfläche der Steine geritzt, so dass sie leicht ihren Platz finden, aber auch in ihrer Abwesenheit einen geformten Abdruck hinterlassen. In der Begegnung zwischen Stein und Objekt, Roh- und Fertigmaterial, werden ihre jeweiligen Biografien, Zuschreibungen und Verstrickungen offengelegt, verschmolzen und durchdrungen. Der Stein erscheint als anonymes Fragment, als einer unter vielen. Seine materiellen Eigenschaften verschwinden in der Masse des Steinbruchs und seine spezifischen Qualitäten stammen ausschließlich aus der Abbauindustrie. Sein industrieller Ursprung ist sein vermeintlich einziger Signifikant. Die Alltagsgegenstände hingegen sind persönlich und kulturell aufgeladene Objekte. Sie stammen aus einem bestimmten Haushalt und haben intime Beziehungen zu Personen. Sie erzählen vielschichtige soziale Geschichten von Bewegung, Bestimmung und Emotion. In der Hervorhebung ihrer Sozialität bleiben ihre politischen, ökonomischen und ökologischen Kontexte jedoch verborgen. Lyhne ergänzt und verschränkt die jeweiligen Zuschreibungen und Auslassungen beider Teile und öffnet sie für alternative Lesarten von Materie und Prozess und deren Austausch. Entanglements sind materielle und konzeptionelle Verquickungen, in denen die Subjekt-Objekt-Beziehungen dynamisch sind. So werden Stein und Produkt als gleichberechtigte Teile einer globalen Zirkulation von Rohstoffen, Ressourcen und Ideen verstanden.
In ihrem Werk löst Lyhne das Material aus seinem rein physischen oder gar künstlerischen Bezugsfeld heraus und kontextualisiert es entsprechend seiner nicht-künstlerischen Verwendung: Industrie, Warenhandel, Markt, Zirkulation und Arbeit. Indem die Künstlerin die oft verborgenen Produktionskontexte der Objekte und Materialien, mit denen sie arbeitet, anerkennt und ihnen Mehrdeutigkeit zuschreibt, stellt sie ihre Komplexität wieder her, die diese Objekte und Materialien schon immer hatten, die aber durch die kapitalistische Produktionsweise verdrängt wird. Ihre Materialien sind geprägt von historischen, sozialen und technologischen Formationen und Entwicklungen, kulturellen Kontexten und individuellen Perspektiven. Lyhnes Materialbegriff wird dadurch durchlässig für äußere Einflüsse und erzeugt wechselseitige, kreative und ethische Relationen. Fussiness – eine äußerst sorgfältige, fast kleinliche Dynamik beschreibt hier nicht nur Lyhnes Methode, sondern auch die der Materie innewohnende Komplexität und Handlungsfähigkeit.
Lyhnes handwerkliche Sensibilität ersetzt in ihrem Werk die technische Reproduzierbarkeit. Ihr Werk steht im Konflikt mit der Naivität der Materialien und der Kohärenz der Prozesse im kapitalistischen System. Indem die Künstlerin den physischen Prozess in den Werken offenlegt, unterstreicht und verstärkt sie deren Pluralität: körperlich und maschinell, bürokratisch und persönlich, privat und sozial. Sie sind geordnet und strukturiert, spielerisch und mehrdeutig zugleich. Lyhnes Sensibilität manifestiert sich körperlich und setzt kräftige Energie frei. Sie entlarvt die Vorstellung von hohen und niedrigen Kunstformen und hebt die Unterschiede in den Ideologien von Wert und Geschmack hervor. Es ist Lyhnes Methode, die den lebhaften Charakter der Materie respektiert und es ihr ermöglicht, komplexe Bedeutungsebenen zu schichten und miteinander zu verflechten.
Alke Heykes
Papierarbeiten können den Betrachter näher an den Künstler und sein Denken heranführen, gewähren oft einen nahezu intimen Einblick in das Schaffen, die Entstehungsprozesse und Annäherungen an Motive. Diese Bandbreite wird in der Ausstellung mit dem Titel ,Von Anfang An (from the beginning)’ gezeigt. Die Auswahl der Künstler und ihre hier gezeigten Arbeiten zeigen verschiedenen Ansätze und Herangehensweisen mit dem Medium Papier.
Papierarbeiten sind bei Emma Talbot Ausgangspunkt für ihre Malereien auf Seide, wie auch für ihre 3-dimensionalen Arbeiten und Animationen. Erinnerte Bilder und Gefühle bringt Talbot täglich zu Papier, wobei sie versucht das Erlebte so genau wie möglich wiederzugeben. Emma spricht von einem ungefilterten Vorgehen bei dem sie ohne Hirarchie und Zensur ihren inneren Bildern folgt. Die entstandenen Zeichnungen werden immer wieder gesichtet und analysiert. Einzelnen Motiven geht sie auf die Spur, um mittels umfangreicher Recherche die aufgetauchten Themen und Zusammenhänge zu vertiefen. Später werden Elemente aus Zeichnungen zu größeren Arbeiten und komplexen Bildgeschichten zusammengefasst.
Jörn Stoya’s neue Arbeiten genannt ,Instrumentals’ reflektieren Verbindungen von künstlerischen Arbeiten über Jahrhunderte und unterschiedlichste Klimazonen und Kulturen hinweg. Die Grundlage der Arbeiten sind japanische Holzschnitte aus dem 18. Jahrhundert, entweder im Original oder als Originalreprint. Diese sind genau wie etwa Radierungen von Albrecht Dürer unlimiert, d.h. der Idee der Verbreitung verpflichtet. Erworben hat Stoya die Drucke von einem Auktionshaus in Michigan. Sie haben also einen ziemlichen Weg, nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich hinter sich.
Der Künstler hat diese Papiere in seiner für ihn typischen Art mit leuchtendem und purem Pigment bearbeitet. Er sieht das Resultat eher als eine Art Zusammenarbeit als eine Aneignug. Instrumentals nennt man Musikstücke ohne Sologesang oder Einzelstimme, in denen aber verschiedene Instrumente zusammenerklingen können.
Tomas Kleiner’s Zeichnungen sind oft von Beginn an Begleiter seiner größer angelegten Installationen und performativen Arbeiten. Das Spektrum reicht von eher technischen Planungs- oder Konstruktionsskizzen, zu Materialkollagen bis hin zur freien Struktursuche. Meist sind es poetisch leichte, manchmal humorvolle Arbeiten, die in eigens hergestellten Rahmen präsentiert werden.
Albrecht Schäfer arbeitet seit einigen Jahren mit der vergleichsweise schnellen Technik der Monotypie die als Gegenpol zu seinen Gemälden zu sehen ist, die meist über einen langen Zeitraum hin entstehen.
Monotypien sind Abdrucke eines auf einer oder mehrerer Druckplatten gemalten Bildes auf ein Blatt Papier. Wie dunkel und mit welcher Struktur etc. eine Fläche gedruckt wird, hängt von der Zusammensetzung der Farbe, dem Auftrag auf die Platte und deren Oberfläche, dem exakten Druck der Walze, des Druckfilzes, der Feuchtigkeit des Papiers, der Temperatur des Raumes und weiteren Faktoren ab, so dass der Künstler jedesmal vom Ergebnis überrascht ist, obwohl er alle Parameter selbst bestimmen kann. Das Arbeiten wird dadurch maßgeblich zu einem Dialog mit dem eigenwilligen Material und mit der zuweilen sehr widerständigen, analogen Druckerpresse.
Toulu Hassani nutzt die Zeichnung auf Papier um sich ihren arbeits- und zeitintensiven Malereien anzunähern und im Vorfeld oder während des Malprozesses Entscheidungen zu erproben. Die unterschiedlichen Raster, die auch ihren Malereien zu Grunde liegen werden auf Papier getestet, ebenso Richtungswechsel, Auflösung des Rasters und ,Störungen’ anderer Art. In selteneren Fällen, wie hier bei den Arbeiten mit dem Titel above horizon (excerpt) handelt es sich um Papierarbeiten, die von bereits realsierten Arbeiten abgeleitet wurden.
Lothar Götz arbeitet immer auch auf Papier. Das Zeichnen mit Bleistift und Buntstift gehört zu seiner täglichen Arbeit im Studio. In dieser Ausstellung werden erstmalig Studien/Entwürfe zu raumbezogenen Arbeiten im privaten und öffentlichen Raum gezeigt. In 3 Vitrinen werden realisierte Entwürfe aber auch verworfene Zwischenschritte und nicht zur Realsisation gebrachte Projekte zu sehen sein.
Es sind ungewöhnliche Motive die Jakob Forster mit Buntstift zu Papier bringt. So zeigen die Arbeiten der Anti-Aging Serie Blisterverpackungen, wie sie für Schokolade und Pralinen verwendet werden. Wie eine Serie von Gemälden, auf denen Form und Muster von Pappbechern, wie man sie tagtäglich für den Gebrauch von Getränken auf der Straße verwendet dargestellt sind, handelt es sich hierbei ebenfalls um Gefäße. Der Künstler sagt: ,Die Arbeiten der Anti-Aging Serie thematisieren Wertspeicherung künstlerischer Arbeit im Material in Reaktion auf (die Erfahrung von) Energieverlust durch (Lohn-)Arbeit und die damit einhergehende Kompensation mit und Abhängigkeit von Kaffee und Schokolade.’
Bei den Schleifmittel-Zeichnungen von Ralf Brög handelt es sich um eine eigenständige, relativ neue Werkgruppe, die wie seine anderen Werkgruppen einen konzeptionellen Ansatz haben. Das verwendete Malmittel ist traditionelle Ölfarbe, der Grund Schleifpapier oder Schleifgewebe. Die Palette der Schleifpapiere verdankt Ihre Farbigkeit der verwendeten natürlichen oder auch synthetischen Kornwerkstoffe. Ebenfalls festgelegt ist die Größe des Bogenformats (230 x 280 mm). So dass gesagt werden kann, dass die spezifischen Materialeigenschaften des Bildträgers zu spezifischen Qualitäten der Serie werden.
Wenn Brög nun von Zeichnung spricht und nicht von Malerei, könnte es damit zu tun haben, dass das Dargestellte als skulpturale oder objektorientierte Ideen in noch unbestimmtem Umfeld zu lesen ist. Dabei wirkt der monochrome Schleifmittel-Raum als Verweis auf konkreten, materialisierten Raum im Unterschied zum illusionistischen Bildraum der Malerei.
Bei Johannes Bendzulla’s Bildobjekten und Papierarbeiten wird die Frage aufgeworfen, ob das Bildmotiv wirklich real, beispielsweise ein Blatt Papier ist, oder ob es sich um eine perfekt gedruckte Abbildung einer Papierstruktur handelt?
Der Künstler interessiert sich besonders für die Verschränkung von grundlegenden analogen Medien mit digitalen Bildstrategien. Vor allem Zeichnung und Malerei sind dabei von Bedeutung. Leinwand und Farbe, Papier und Bleistift, die Konventionen des Tafelbilds und des gerahmten Blattes – all das bildet sein Grundvokabular, welches dann mit „unmöglichen” bzw „unrealistischen” digitalen Eingriffen verfremdet wird. So verwischt er die Grenzen zwischen analoger und computergenerierter, mathematischer Bildästhetik.
Trompe L’oeil basierte Strategien verwendet Bendzulla ebenfalls häufig, weil das Spiel mit der „Täuschung” und „Ent-Täuschung” der BetrachterInnen für ihn fundamentale Fragen der Weltwahrnehmung berührt.
Works on paper can bring the viewer closer to the artist and his thinking, often providing an almost intimate insight into his work, the creative processes and approaches to motifs. This range is shown in the exhibition entitled ‘Von Anfang An (from the beginning)’. The selection of artists and their works shown here demonstrate different approaches to the medium of paper.
Works on paper are the starting point for Emma Talbot‘s paintings on silk as well as for her 3-dimensional works and animations. Talbot draws remembered images and feelings on paper every day, trying to reproduce what she has experienced as accurately as possible. Emma speaks of an unfiltered approach in which she follows her inner images without hierarchy and censorship. The resulting drawings are viewed and analysed again and again. She tracks down individual motifs in order to deepen the themes and contexts that have emerged by means of extensive research. Later, elements from these drawings could be combined into larger works and complex pictorial stories.
Jörn Stoya‘s new works called ‚Instrumentals‘ reflect connections between artistic works across centuries and a wide variety of climates and cultures. The works are based on Japanese woodcuts from the 18th century, either in the original or as an original reprint. Just like etchings by Albrecht Dürer, for example, these are unrelated, i.e. committed to the idea of dissemination. Stoya acquired the prints from an auction house in Michigan. So you‘ve come a long way, not only in terms of space, but also in terms of time. The artist has worked on these papers in his typical way with luminous and pure pigment. He sees the result as a kind of collaboration rather than an appropriation. Instrumentals are pieces of music without solo vocals or single voices, but in which different instruments can sound together.
Tomas Kleiner‘s drawings have often accompanied his large-scale installations and performative works from the very beginning. The spectrum ranges from more technical planning or construction sketches, to material collages and free structure searches. Most of them are poetically light, sometimes humorous works, which are presented in specially produced frames.
For several years now, Albrecht Schäfer has been working with the comparatively fast technique of monotype, which can be seen as the antithesis to his paintings, which are usually created over a long period of time.
Monotypes are impressions of a picture painted on one or more printing plates on a sheet of paper. How dark and with what structure a surface is printed, etc., depends on the composition of the ink, the application to the plate and its surface, the exact pressure of the roller, the printing felt, the humidity of the paper, the temperature of the room and other factors, so that the artist is always surprised by the result, although he can determine all the parameters himself. As a result, the work becomes a dialogue with the idiosyncratic material and with the sometimes very resistant, analogue printing press.
Toulu Hassani uses drawing on paper to approach her labor-intensive and time-consuming paintings and to try out decisions in advance or during the painting process. The different grids, which are also the basis of her paintings, are tested on paper, as well as changes of direction, dissolution of the grid and ‘disturbances’ of other kinds. In rarer cases, as in the case of the works entitled above horizon (excerpt), these are works on paper that have been derived from existing works.
Lothar Götz always works on paper. Drawing with pencil and crayon is part of his daily work in the studio. In this exhibition, studies/drafts of space-related works in private and public space are shown for the first time. In 3 showcases, realized designs will be shown, but also discarded intermediate steps and projects that were not brought to realization.
These are unusual motifs that Jakob Forster puts on paper with colored pencil. For example, the works of the anti-aging series blister packs show how they are used for chocolate and pralines. Like a series of paintings depicting the shape and pattern of paper cups used every day for drinking on the street, these are also vessels. The artist says: ‘The works in the Anti-Aging series address the storage of value of artistic work in the material in response to (the experience of) energy loss through (wage) work and the associated compensation with and dependence on coffee and chocolate.’
Ralf Brög’s abrasive drawings are an independent, relatively new group of works, which, like his other groups of works, have a conceptual approach. The medium used is traditional oil paint, the base is sandpaper or abrasive cloth. The range of sandpapers owes their colourfulness to the natural or synthetic grain materials used. The size of the sheet format (230 x 280 mm) is also specified. So that it can be said that the specific material properties of the image carrier become specific qualities of the series.
When Brög speaks of drawing and not of painting, it could have something to do with the fact that what is depicted is to be read as sculptural or object-oriented ideas in a still undefined environment. At the same time, the monochrome abrasive space acts as a reference to concrete, materialized space in contrast to the illusionistic pictorial space of painting.
Johannes Bendzulla’s pictorial objects and works on paper raise the question of whether the motif is really real, for example a sheet of paper, or whether it is a perfectly printed representation of a paper structure?
The artist is particularly interested in the interweaving of basic analogue media with digital image strategies. Above all, drawing and painting are important. Canvas and paint, paper and pencil, the conventions of the panel painting and the framed sheet – all this forms his basic vocabulary, which is then alienated with “impossible” or “unrealistic” digital interventions. In this way, he blurs the boundaries between analogue and computer-generated, mathematical image aesthetics. Bendzulla also frequently uses trompe l’oeil-based strategies, because playing with the “deception” and “disappointment” of the viewer touches on fundamental questions of the perception of the world.
Tomas Kleiners oft langfristig angelegte performative Aktionen und Rechercheprojekte entstehen im Austausch mit menschlichen, aber auch pflanzlichen oder tierischen Akteur*innen. Er beschäftigt sich mit gesellschaftlich relevanten, politischen und ökologischen Themen und lässt dabei gern die geschützte Sphäre des Ateliers hinter sich. Er bewegt sich mit seinen Arbeiten in den öffentlichen Raum und schafft Orte der Begegnung und des Dialogs – zum gemeinsamen Nachdenken und Handeln.
Seit März widmet er sich einer künstlerischen Recherche mit dem Titel „Artenübergreifende Flugübungen“ und untersucht dabei mit wissenschaftlicher Akribie und spielerischer Leichtigkeit, wie Pflanzen mittels experimenteller Flugkonstruktionen erweiterte Mobilitäts-Praktiken erlangen können. Dabei setzt Kleiner seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Modus der Schwebe weiter fort, der Orientierung und Ziellosigkeit, Tun und Nichtstun, Bewegung und Ruhe miteinander verbindet.
Die Ausstellung „[‘fffhhhhh] – praktiken der beflügelung“ in der Petra Rinck Galerie ermöglicht Einblicke in die laufende Recherche, die botanisch-filigrane Elemente mit einer raumergreifend-technischen Installation und videografisch-poetischen Experimenten verbindet.
Tomas Kleiner, 1990 in Järna (Schweden) geboren, hat 2018 sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Gregor Schneider abgeschlossen. Er hat bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, unter anderem Auftakt Recherche – Stipendium der Kunststiftung NRW, Bremerhaven-Stipendium, Arbeitstipendium der Stiftung Kunstfonds, sowie Förderpreis der Stadt Düsseldorf.
Aktuell sind Arbeiten von Tomas Kleiner in der Kunsthalle Mannheim in der Gruppenausstellung 1,5 Grad und im Skulpturengarten Kunsthaus NRW, Kornelimünster zu sehen und ab 9. September im Kunstverein Ulm.
Anja Heitzer
Tomas Kleiner’s performative actions and research projects, often designed for the long term, are created in exchange with human, but also plant or animal actors. He deals with socially relevant, political and ecological issues and likes to leave the protected sphere of the studio behind. He moves with his works into the public space and creates places of encounter and dialogue – for joint reflection and action.
Since March, he has dedicated himself to an artistic research entitled “Cross-Species Flight Exercises,” investigating with scientific meticulousness and playful lightness how plants can acquire extended mobility practices by means of experimental flight constructions. In doing so, Kleiner continues his longstanding exploration of the mode of hovering, which combines orientation and aimlessness, doing and doing nothing, movement and rest.
The exhibition “[‘fffhhhh] – praktiken der beflügelung” at Petra Rinck Galerie provides insights into the ongoing research, which combines botanical-filigree elements with a space-engaging technical installation and videographic-poetic experiments.
Works by Tomas Kleiner are currently on view at the Kunsthalle Mannheim, the Kunsthaus NRW Kornelimünster and, from 9 September, at the Kunstverein Ulm.
Anja Heitzer
Extended until 13 Jan 2024
Color touches us directly. First of all, color is nothing other than what it is. Color is not a thought, is not an idea. Color communicates on entirely non-verbal levels. „Color as the soul of painting, as a paradisiacal state, as the epitome of freedom and immateriality – all these attributions point to one thing above all: Color does not serve the rational mastery of the world; color perception is an unconscious access to the world, a dissolution of boundaries, a non-linguistic overwhelming. Color in the sense of colorite as a path to freedom, as a gateway from a limited, concrete place into the infinite of color space.“ (Sabine Vogel, Jörn Stoya Catalog 2021)
The approach to Stoya‘s paintings is a sensually direct one, committed to beauty and joy and driven by the not entirely impossible utopia for happiness and improvement of desolate world conditions. The technique of his painting with unbound pigment is singular and largely responsible for the outstanding power of color. The directness of the application of paint and the fact that the work is done without sketches and preliminary drawings corresponds to the immediate access, which is always the artist’s approach towards his work.
For Jörn Stoya, music, like painting, is not only a daily companion and window to the world, but a field of research into the depths of the past to the new phenomena and trends of the present. Emotionality, immediacy, expression of life, hope and social relevance are often also themes in music to this day. Song titles or lines of text become titles of Stoya‘s paintings and designations from reggae, such as „version“, „rewind“ or „dub“ complement them. These additions describe the particular aesthetics of acoustic spaces in the music, and reveal a parallelism to the implied spaces in Stoya‘s paintings.
In the course of his research, Stoya came across the song „Tears are not enough,“ which the group ABC released in 1982 and which discusses sociopolitical problems and fears as „great songs about love“ (Musikexpress.). Recognizing a parallelism, the artist decided to name a series of works and also this exhibition after this very song.
Stoya sees a direct connection between the power of color and its influence on the improvement of the world and therefore postulates color = joy = resistance.
Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)
Farbe berührt uns direkt. Farbe ist erst einmal nichts anderes als das, was sie ist. Farbe ist kein Gedanke, ist keine Idee. Farbe kommuniziert auf gänzlich nonverbalen Ebenen. „Die Farbe als Seele der Malerei, als paradiesischer Zustand, als Inbegriff der Freiheit und Immaterialität – alle diese Zuschreibungen weisen vor allem auf eines hin: Farbe dient nicht der rationellen Weltbewältigung, Farbwahrnehmung ist ein unbewusster Weltzugriff, eine Entgrenzung, eine nicht-sprachliche Überwältigung. Die Farbe im Sinne des Kolorit als Weg zur Freiheit, als Tor aus einem begrenzten, konkreten Ort ins Unendliche des Farbraums.“ (Sabine Vogel, Jörn Stoya Katalog 2021)
Der Zugriff auf Stoya’s Bilder ist ein sinnlich direkter, der Schönheit und Freude verpflichtet und getrieben von der nicht gänzlich unmöglichen Utopie nach Glück und Verbesserung der desolaten Weltzustände. Die Technik seiner Malerei mit ungebundenen Pigment ist singulär und maßgeblich verantwortlich für die herausragende Farbgewalt. Die Direktheit des Farbauftrags und die Tatsache, dass ohne Skizzen und Vorzeichnungen gearbeitet wird entspricht dem unmittelbaren Zugang, um den es dem Künstler in seiner Arbeit immer geht.
Musik ist für Jörn Stoya, wie auch die Malerei nicht nur täglicher Begleiter und Fenster zur Welt, sondern Forschungsfeld in die Tiefen der Vergangenheit bis hin zu den Neuerscheinungen und Strömungen der Gegenwart. Emotionalität, Unmittelbarkeit, Lebensausdruck, Hoffnung und gesellschaftliche Relevanz sind vielfach auch in der Musik bis heute Thema. Songtitel oder Textzeilen werden zu Titeln von Stoya‘s Bildern und Bezeichnungen aus dem Reggae, wie „Version“, „Rewind“ oder „Dub“ ergänzen sie. Diese Zusätze beschreiben in der Musik die besondere Ästhetik akkustischer Räume, und zeigen eine Parallelität zu den angedeuteten Räumen in Stoya’s Bildern auf.
Im Zuge seiner Recherche, stieß Stoya auf den Song „Tears are not enough“, den die Gruppe ABC 1982 veröffentlichte und der gesellschaftspolitische Probleme und Ängste als „große Lieder über die Liebe“ (Musikexpress) diskutiert. Eine Parallelität erkennend entschloss sich der Künstler dazu, eine Serie von Arbeiten und auch diese Ausstellung nach eben diesem Song zu benennen.
Stoya sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Wirkungsmacht von Farbe und ihrem Einfluss auf die Verbesserung der Welt und postuliert darum Farbe= Freude = Widerstand.
from 13 July by appointment only
Der Zustand unserer Städte verweist überdeutlich auf die Architektur und die mit ihr verbundenen Fragen. Städtebauliche, ökonomische wie auch soziokulturelle Aspekte spielen eine wichtige Rolle und zeigen wie Architektur uns alle beeinflusst und beschäftigt.
Die großflächige Wandmalerei von Lothar Götz, die aus unterschiedlichen Dreiecksformen und Rhomben besteht und eine ganze Wand einnimmt, ist aus der letzten Ausstellung übernommen und der Ausgangspunkt für die Überlegungen zu dieser Ausstellung gewesen. Klar voneinander abgesetzte Formen in leuchtenden Farben zerteilen die Stirnwand und verdinglichen damit das Bild ins Monumentale. Bei längerer Betrachtung wirkt die Malerei dreidimensional, strahlt auf die angrenzenden Wände und Decke aus und dominiert so die gesamte Raumwahrnehmung.
Wie bei allen Wandmalereien von Götz, sei es im Außen-, oder Innenraum taucht man in einen konzentrierten Farb- und Formenkosmos ein, der auf Besonderheiten der Architektur Bezug nimmt aber immer auch mit einem emotionalen Zugang verbunden ist.
Die Malereien von Tugce Dayioglu für diese Ausstellung dagegen sind farblich deutlich verhalten. Auf den schnellen Blick wirken sie homogen dunkelgrau, fast schwarz. Bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch klare geometrische Muster, deren Flächen in dunklen Farbtönen, zart abgesetzt gegeneinander die einzelnen Bildteile rhythmisieren. Jede Arbeit besteht aus mehreren Teilen, die eine unterschiedliche Anordnungen zulassen. Diese aufgebrochenen Formen nehmen die Wände, auf denen sie hängen ein, dehnen sich ins Skulpturale aus und unterstreichen das Architekturhafte ihrer Sujets. Aus der Städelschule in Frankfurt kommend freuen wir uns diese junge Position erstmals in Düsseldorf zu präsentieren.
Ebenfalls als Premiere für die Galerie werden Werke von Almut Hilf zu sehen sein. Hilf studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Hamburg, wo sie 2016 ihren Abschluss machte. Die kaschierten, mit zarter Holzeiste gerahmten, gleich großen Bilder sind Teil einer 50 Arbeiten umfassenden Serie mit dem Titel: „Denken im Bestand IV, berührt, geführt“. Almut Hilf hat Fotografien eines leeren Raumes in unterschiedlichen Größen und Helligkeitsstufen zunächst kopiert, dann in einem fortlaufenden Prozess zerschnitten und immer wieder neu analog zusammengesetzt. Säulen, Bögen, Vorsprünge, Steckdosen etc. erkennend ist man versucht die Räume zu entschlüsseln, wird in den Bildraum hineingezogen um in minimale, konstruktive oder teilweise barock anmutende Welten einzutauchen. Architektur ist dabei fragmentarisch und weder als real vorstellbarer Raum zu erfassen, noch zeitlich zu verorten, wodurch sich ein weiter Raum für poetische Ergänzung und Vorstellung entfaltet.
Diese durchaus unterschiedlich Herangehensweisen, die sich an der Schnittstelle von Architektur und Malerei treffen, können als Visionen, vorstellbare Welten, Bezüge und Möglichkeiten einer zukünftigen, verantwortlichen und wieder lebbaren Welt gelesen werden.
The state of our cities points very clearly to architecture and the questions connected with it. Urban planning, economic as well as socio-cultural aspects play an important role and show how architecture influences and concerns us all.
The large-scale wall painting by Lothar Götz, which consists of different triangular shapes and rhombuses fills the entire wall, was taken over from the last exhibition and marks the starting point for the considerations for this exhibition. Clearly separated forms in bright colors divide the front wall and thus reify the picture into the monumental. On prolonged viewing, the painting appears three-dimensional, radiating onto the adjacent walls and ceiling and thus dominating the overall perception of the space.
As with all of Götz’s murals, whether exterior or interior, one is immersed in a concentrated cosmos of colors and shapes that refers to special features of architecture but is always associated with an emotional approach.
The paintings by Tugce Dayioglu for this exhibition, on the other hand, are much more restrained in terms of color. At a quick glance, they appear homogeneously dark gray, almost black. On closer inspection, one recognizes clear geometric patterns, whose surfaces in dark shades, delicately set off against each other, rhythmize the individual parts of the picture. Each work consists of several parts, which allow different arrangements. These broken forms occupy the walls on which they hang, expand into the sculptural, and underscore the architectural nature of their subjects. Coming from the Städelschule in Frankfurt, we are pleased to present this young position for the first time in Düsseldorf.
Also premiering for the gallery will be works by Almut Hilf. Hilf studied at the Academy of Fine Arts in Hamburg, where she graduated in 2016. The laminated images of the same size, framed with delicate wooden molding, are part of a 50-work series titled: “ Thinking in Existing Contexts IV, Touch, Move” Almut Hilf first copied photographs of an empty room in different sizes and brightness levels, then cut them up in an ongoing process and repeatedly reassembled them in analog form. Recognizing columns, arches, protrusions, sockets, etc., one is tempted to decipher the spaces, to be drawn into the pictorial space in order to immerse oneself in minimal, constructive or partly baroque-looking worlds. Architecture is thereby fragmentary and neither to be grasped as a real imaginable space nor to be located in time, whereby a wide space for poetic completion and imagination unfolds.
These quite different approaches, which meet at the interface of architecture and painting, can be read as visions, imaginable worlds, references and possibilities of a future, responsible and again livable world.
Opening Friday 31 Mar 6-9pm
Die Arbeiten in der Ausstellung weisen zwei grundsätzliche Merkmale auf. Beim Betreten der Galerie wird man von einer Reihe intensiver, kleiner, abstrakter A4-Zeichnungen begrüßt, während sich über die Hauptwand im hinteren Ausstellungsraum ein einziges großes, 10 Meter langes Wandgemälde erstreckt, das eine Art Hintergrund bildet.
Diese kleinen Zeichnungen sind sowohl mit Farbstift als auch mit durchscheinenden Aquarellfarben gefertigt, wobei eine Vielzahl von farbigen Papieren als Untergrund dient. Die Arbeiten stammen aus mehreren Serien, an denen Götz gearbeitet hat. Sie reichen von den sich drehenden, spielerischen Formen von Rotation – Crimson, 2022, über die geradezu verträumten, sich verändernden Oberflächen von May, 2021, die Harlekin-Musterung von Celebration, 2022, die sich stimmungsvoll von dem grünen Grund abhebt, bis hin zu dem dynamischeren Nebeneinander von Form und Linie in seiner Serie Triadic Ballet, die sich auf das Werk von Oskar Schlemmer bezieht, wie beispielsweise Conversation with a Modernist Idea, 2021. Hier spiegelt sich der starke Einfluss der frühen Moderne und des Bauhauses in seinem Werk wider, sichtbar auch in anderen Zeichnungen, wie z. B. in Conversation with Sophie-Taeuber-Arp/3, 2021, die vom Werk der Schweizer Künstlerin inspiriert ist. Dieses Interesse an den Werken der Künstler*Innen der Moderne wurde während des Covid Lookdowns neu belebt, als Götz, der, wie wir alle, zu Hause festsaß und keine Ausstellungen besuchen konnte, in alten Büchern und Katalogen stöberte.
Eine auffallend dynamische Zeichnung mit einer eher zentrierten, aber dennoch gebrochenen Formenreihe – orangefarbenen Strahlen, die sich wie ein unheilvolles Glühen über den Horizont ausbreiten – stammt aus Götz’ jüngster Volcano-Serie, an der er dieses Jahr arbeitete. Volcano ist ebenfalls der Titel des Wandbildes, das wiederum der Ausstellung ihren Namen gibt. Es besteht aus stark farbigen, dreieckigen Formen, die von einem einzigen Punkt aus pulsieren, wie eine Freisetzung von abstrakter Energie. Das großformatige Werk nimmt die gesamte Länge der Rückwand der Galerie ein und wirkt wie ein dynamisches ungegenständliches Panorama. Es besteht aus lebhaften, dreieckigen Formen, die von einem einzigen Punkt am oberen Rand der Wand ausgehen, als ob sie imaginäre Energie freisetzen würden. “Ich liebe Berge.“, sagt Götz, “Sie werden oft als Metapher für das Erhabene verwendet, aber wenn ein Berg ein Vulkan ist, ist er das Gegenteil: buchstäblich höllisch. Das finde ich faszinierend.”
Die Wahl des Titels “Volcano” geht unter anderem auf den gleichnamigen Roman von Klaus Mann zurück, den Götz erst kürzlich wieder gelesen hat. Das Buch verwendet den Vulkan als Metapher für die explosive Wirkung der Machtübernahme der Nazis in Deutschland – und ihre Folgen. Dazu gehörte die Emigration vieler Intellektueller und Künstler*Innen der Moderne – vor allem aus dem Bauhaus. Schlemmer ging in Deutschland ins innere Exil und schuf seine letzten Werke Fensterbilder 1942 in einer physischen Situation, die einer Abriegelung gleichkam, da er die meiste Zeit drinnen verbrachte und nach draußen blickte.
Die Hauptfiguren seines Buches entstammen diesem Milieu emigrierter Künstler*Innen und Schriftsteller*Innen, zu denen Mann selbst gehörte (er verließ Deutschland 1933 in Richtung Paris und emigrierte später in die USA). “Ich mag die menschlichen und persönlichen Geschichten der Figuren in diesem Buch”, bemerkt Götz. “Es geht um Menschen, die nie den Mut haben, Helden zu sein, sondern die sich wehren, indem sie weggehen. Auch wenn sie mit der Auswanderung letztlich scheitern, war die Entscheidung zur Auswanderung an sich schon ein kleiner Akt des Heldentums, des Widerstands.”
Götz fühlte sich dem Autor und den Themen des Romans stets persönlich verbunden. “Das Buch hat mich sehr beeindruckt, als ich es als junger Student zum ersten Mal las – in Bezug auf die Geschichte des Nationalsozialismus, die Ideen der Emigration und auch wegen der schwulen Perspektive des Autors. Das Buch war eine Offenbarung. Und als schwuler Mann und Künstler, der von der frühen Moderne beeinflusst ist, fühle ich mich Klaus Mann sehr nahe.”
Anklänge an die 1930er Jahre in der oft extremen politischen Positionierung von heute – angefacht durch die sozialen Medien, die keine nuancierte Meinung in Grauzonen zulassen – haben dazu geführt, dass ein Großteil der zeitgenössischen Kunst zunehmend politisiert wird. Aber das ist etwas, dem Götz in seiner eigenen Arbeit widerstehen will.
“Ich sehe die Abstraktion sowohl damals als auch heute als Widerstand gegen das Politische. Sie ist nicht heroisch, aber sie ist immer noch die Zurückhaltung des persönlichen Willens: die Entscheidung, Macht nicht zu illustrieren. In der Abstraktion steckt ein gewisser Aktivismus”.
In diesem Sinne kann jede Zeichnung mit ihrer unterschiedlichen Empfindsamkeit – von introvertiert und mystisch bis hin zu lebhaft extrovertiert und spielerisch – fast wie eine Figur in einem Buch gelesen werden, vielleicht als ein kleiner fortlaufender Akt des Widerstands an sich.
The work in this show exhibits two contrasting scales. On entering, you are greeted by a series of intense, small, abstract A4 drawings displayed through the gallery spaces, while beyond these, stretching like a backdrop in the rear gallery, is a single large 10m long wall painting.
The small drawings are worked up in both colour pencil and more translucent watercolour washes, using a variety of toned papers, which give the works differing blue, cream, black and green grounds. The works are selected from several series that Götz has been working on. They range from the spinning, ludic shapes of Rotation – Crimson (2022), to the more dreamy, shifting surfaces of May (2021), the harlequin patterning of Celebration (2022) and the more dynamic juxtaposition of form and line in his Triadic Ballet series, which references the work of Oskar Schlemmer, such as Conversation with a Modernist Idea (2021). The latter reflects the strong influence of early modernism and the Bauhaus in his work, seen here also in other drawings , including Conversation with Sophie-Taeuber-Arp/3 inspired by the work of the Swiss artist. In addition, a striking drawing with a more centred yet fractured series of forms, comes from Götz’ recent Volcano series. In all the works seem to strike different tones and moods across the gallery spaces, from the playful to the almost mystic.
Volcano is also the title of the wall painting which gives the show as a whole its name. This is formed of vividly coloured, triangular forms, pulsing out from a single point, like a release of abstract energy. This large work occupies the full length of the rear wall of the gallery, appearing like a dynamic abstract panorama. ‘I love mountains’, says Götz, ‘They are often used as a metaphor for the sublime, but when a mountain is a volcano, it’s the opposite: literally hellish. I find that fascinating.’
The choice of the show’s title comes in part from Götz’s recent rereading of Klaus Mann’s novel of the same name. The book uses the volcano as a metaphor for the explosive effect of the Nazis taking power in Germany – and its consequences. These included the emigration of many intellectuals and modernist artists from the country ¬– in particular from the Bauhaus (in Schlemmer’s case he went into internal exile in Germany). It was from this milieu of émigrés that Mann drew the main characters of the book. ’I like the smallish human and personal stories of the book’s characters,’ observes Götz. ‘It’s about people who never have the guts to be a hero, but who stand up by leaving. Although they ultimately make a failure of emigration, the decision to emigrate was in itself a small act of heroism, of resistance.’
He says he has always felt a personal connection to the writer and the themes contained in the novel. ‘It made quite an impression on me when I first read it as a young student – in relationship to Nazi history, to ideas of emigration and also due to the gay perspective of the writer. The book was a revelation. And as a gay man and an artist who is influenced by early modernism, I feel very close to Mann.’
He also sees parallels to the 1930s in the extremes of political posturing today, fanned by social media. This resulting opportunism and jumping-on-political-bandwagons of many – not least in the art world – which allow for no grey areas of opinion or nuanced disagreement, is something he sees as deeply worrying and which he looks to resist in his art.
‘I see abstraction both then and now as a resistance to the political – not heroic but still the withholding of one’s personal will: choosing not to illustrate power. There’s a certain activism in abstraction.’
In such a vein, each drawing here, almost like a character with its own personal, portable story, can perhaps be read as a small ongoing act of resistance in itself.
Opening Saturday 21 January, 4-7 pm
Jugoslav Mitevski produces pictures that one would initially classify as non-representational paintings. In any case, there are no specific objects depicted in his paintings. They themselves are objects with a physical and spatial extent and presence.
However, Mitevski did not find them, but he makes such images or objects in his studio. He begins by pouring liquid concrete into a mold. With various additives, he influences the properties of the concrete mass and changes its consistency as it dries, creating irregularities and cracks. Or, as in this case, he places a fiberglass mat inside the formwork, retrieving it after the concrete has hardened with great physical effort using tools such as a hammer and chisel. Mitevski has filled the resulting broken-out areas with epoxy resin, creating an irregular shape that has a smoother surface than the concrete.
Mitevski also often pours the concrete into assembled parts of various Styrofoam packaging of technical devices or other consumer goods. The resulting colorfully painted reliefs and free-standing objects sometimes resemble furniture or shelves, but they have no practical function. The efficiency-oriented design of industrial forms and packaging is, as it were, Mitevski’s source material, which elicits an unexpected aesthetic potential. Having established certain parameters, he leaves much to a physical process that he observes and only occasionally intervenes in in a targeted manner. The effects of this process, in which the states of the material change time and again, are clearly perceptible in the result. But all the effects of physical force, even if they are based on the artist’s own physical activity, are not direct traces of his gestures. Expressivity and subjectivity do not appear anywhere; Mitevski’s approach is deliberately “counterintuitive,” as he puts it.
Therefore, Mitevski’s approach is thus not a direct “implementation” of ideas, but rather he sets certain conditions whose parameters can hardly be ascertained in the result—in contrast to a strictly rationalist conceptualism. Thus he makes meticulous mathematical calculations, entered in tables, which concern, for example, the mixing ratios of the concrete he used, but which are in no way visually nor otherwise comprehensible to the viewer.
These are the ways he conceives setting something in motion. However, as the one who creates, he always retreats to a kind of indirect presence, comparable to a conductor or director. Only it is not human actors that he directs, but formal and physical processes. He lets these run until the “actors” move in a direction he wants to correct, which can also mean that the events take place, unsurprisingly, along expected lines.
Thus Mitevski’s work can hardly be classified in conventional categories such as painting or sculpture. For him, these categories are ultimately only molds, into which he adds some “information” that in the end condenses quite differently than would have been expected at the beginning.
(from Ludwig Seyfarth “Fluid Expectations” 2022)
Jugoslav Mitevski stellt Bilder her, die man zunächst in die ungegenständliche Malerei einordnen würde. Konkret abgebildete Gegenstände findet man auf seinen Bildern jedenfalls nie. Sie sind selbst Gegenstände oder Objekte, die eine physische und räumliche Ausdehnung und Präsenz besitzen.
Mitevski hat diese Bilder oder Objekte nicht vorgefunden, er stellt sie in seinem Atelier her. Er beginnt mit Flüssigbeton, den er in eine Gussform hineingibt. Die Beigabe unterschiedlichster Zusätze beeinflusst die Eigenschaften der Betonmasse und verändert die Konsistenz während des Trocknens, sodass Unregelmäßigkeiten und Risse entstehen. Oder er legt eine Fiberglasmatte in die Schalung hinein, die er nach der Erhärtung des Betons unter großem physischem Aufwand und mit Werkzeugen wie Hammer und Meißel wieder herausgeschlagen hat. Die dadurch herausgebrochenen Stellen hat Mitevski mit Epoxidharz aufgefüllt, wodurch eine unregelmäßig verlaufende Form entstanden ist, die eine glattere Oberfläche aufweist als der Beton.
Oft gießt Mitevski den Beton auch in zusammengesetzte Teile verschiedener Styroporverpackungen technischer Geräte oder anderer Gebrauchsgüter. Die so entstandenen farbig bemalten Reliefs und frei stehenden Objekte erinnern mitunter an Möbel oder Regale, sie haben jedoch keinerlei praktische Funktion. Die auf Effizienz ausgerichtete Gestaltung industrieller Formen und Verpackungen ist gleichsam Mitevskis Ausgangsmaterial, dem er ein unerwartetes ästhetisches Potential zu entlocken vermag. Nachdem er bestimmte Parameter festgelegt hat, überlässt er vieles einem physikalischen Prozess, den er beobachtet und in den er nur ab und zu gezielt eingreift. Die Auswirkungen dieses Vorgangs, bei dem sich Materialzustände immer wieder verändern, sind im Resultat deutlich sicht- und spürbar. Aber alle Einwirkungen physischer Kraft sind, auch wenn sie auf der körperlichen Aktivität des Künstlers beruhen, keine direkten Spuren seiner Gesten. Expressivität und Subjektivität treten nirgends in Erscheinung; Mitevskis Vorgehen ist bewusst „kontraintuitiv“, wie er es selbst ausdrückt.
Mitevskis Vorgehen ist also keine direkte „Umsetzung“ von Ideen, sondern er setzt bestimmte Rahmenbedingungen, deren Parameter im Ergebnis – anders als bei einem streng rationalistischen Konzeptualismus – kaum noch ablesbar sind. So stellt er minutiöse mathematische, in Tabellen eingetragene Berechnungen an, die etwa die Mischungsverhältnisse des verwendeten Betons betreffen, aber für die Rezipient*innen in keiner Weise visuell und auch sonst nur schwer nachvollziehbar sind.
Es handelt sich dabei jedoch stets um Wege, die Mitevski ersinnt, um etwas in Gang zu setzen. Allerdings zieht er als Gestalter sich auf eine Art indirekte Präsenz zurück, vielleicht vergleichbar mit einem Dirigenten oder Regisseur. Nur handelt es sich nicht um menschliche Akteure, die er zum Spielen anleitet, sondern um formale und physikalische Prozesse. Diese lässt er so lange laufen, bis die „Akteure“ sich in eine Richtung bewegen, die er korrigieren möchte, was auch heißen kann, dass sich das Geschehen überraschungsfrei in erwartbaren Bahnen vollzieht.
So lässt sich Mitevskis Werk kaum in herkömmliche Kategorien wie Malerei oder Skulptur einordnen, sondern diese sind für ihn letztlich auch nur so etwas wie Gussformen, in die er „Informationen“ eingibt, die sich am Ende ganz anders verdichten als anfangs zu erwarten gewesen wäre. Mitevski selbst spricht in Analogie zu komplexen digitalen Prozessen von einer„Zusammenführung unterschiedlicher Netzwerke“, bei der „das Material irgendwo dazwischen“ hängt.
(aus Ludwig Seyfarth ,,Fluide Erwartungen” 2022)
Opening
Friday 28 Oct 6-9pm
Thoughts about infinity resemble thoughts about time because ultimately, both are intangible. However, Toulu Hassani succeeds in finding images for these abstract phenomena. Thus, her works represent time, since their lengthy creation process is explicitly inscribed into them. The conceptual slowness of the work’s genesis becomes tangible; her paintings seem to symbolise physical as well as mental (life) time. Each of her works also makes a plea for a successive, processual approach and so a counter-proposal to a performance-oriented world in which the time factor is a key parameter of the economy as well. At the same time, Toulu Hassani’s works do seem to represent infinity, as they conceive a specific system that could be varied infinitely in theory: “We can only add to the world, where we believe it ends, more parts …”. In doing so, the artist sets herself the complex task of thinking both within and outside the system: Order and disorder, rationality and emotion are not mutually exclusive, any more than planned events and chance. For whenever Toulu Hassani deviates from the systematic and counteracts her own system of order, things happen intuitively and decisions are made that cannot be justified rationally: “I am convinced that intuition creates other ways of accessing the unconscious, which makes it far more complex than the predictable or rationally planned. My paintings can be read as symbols of the ordering systems we humans create to orient ourselves in our world. As I move as a painter within this grid, human perspectives and inexactness inscribe themselves into the raster pattern I have created.” (Toulu Hassani)
(extraction of THOUGHTS ON THE SERIES OF WORKS OH BE A FINE GIRL KISS ME BY TOULU HASSANI from Harriet Zilch)
Gedanken über die Unendlichkeit erscheinen wie Gedanken über die Zeit, denn beides ist in letzter Konsequenz nicht greifbar. Toulu Hassani gelingt es jedoch, Bilder für diese abstrakten Phänomene zu finden. So repräsentieren ihre Werke Zeit, da ihnen ihr langwieriger Entstehungsprozess explizit eingeschrieben ist. Die konzeptuelle Langsamkeit der Werkgenese wird erfahrbar; die Gemälde scheinen physische wie mentale (Lebens-)Zeit zu symbolisieren. Jedes der Werke ist auch ein Plädoyer für ein sukzessives, prozessuales Arbeiten und damit ein Gegenentwurf zu einer leistungsorientierten Welt, in der der Faktor Zeit auch ein zentraler Parameter der Ökonomie ist. Zugleich scheinen die Werke von Toulu Hassani Unendlichkeit zu repräsentieren, entwerfen sie doch ein spezifisches System, das theoretisch unendlich variiert werden könnte:„Man braucht der Welt nur immer dort, wo man glaubt, dass sie zu Ende sei, weitere Teile anzufügen“. Dabei stellt sich die Künstlerin der komplexen Aufgabe, zugleich innerhalb wie außerhalb dieses Systems zu denken: Ordnung und Unordnung, Ratio und Emotio schließen sich hier ebenso wenig aus wie planvolles Geschehen und Zufall. Denn immer dann, wenn Toulu Hassani von der Systematik abweicht und das eigene Ordnungssystem konterkariert, geschieht Intuitives und es werden Entscheidungen getroffen, die nicht rational begründbar sind: „Ich bin davon überzeugt, dass die Intuition andere Zugänge zum Unbewussten schafft und somit viel komplexer als Vorhersehbares oder rational Geplantes ist. Meine Bilder können als Sinnbilder für die Ordnungssysteme gelesen werden, die wir Menschen erstellen, um uns in unserer Welt zu orientieren. Indem ich mich malerisch in diesem Raster bewege, schreiben sich die menschliche Perspektive und die Inexaktheit in dieses von mir erschaffene Raster ein.“ (Toulu Hassani)
(Auszug aus GEDANKEN ZUR WERKSERIE OH BE A FINE GIRL KISS ME VON TOULU HASSANI von Harriet Zilch)
Gleaming white teeth are an essential element of a winning appearance, radiating health and sometimes also virility. In knowledge of this fact, no small number of people give their teeth some help, either by bleaching them or by having ceramic glued directly onto them. Teeth can also be found in Johannes Bendzulla’s most current set of works, “White Cube White Teeth,” after having become something of a leitmotif for him in recent years. To say that the real focus here is on teeth would be an overstatement, however; instead, the artist’s interest in them is likely down to their omnipresence. After all, Bendzulla has gradually dimmed-down the discursivity of his works in the previous years, turning to a compressed stock of materials that floats freely through his images. There, teeth seem in the first instance to be innocuous and free of any deeper motivic implications. But in addition to their ubiquity, teeth are also pure white, shiny, and crucial to projecting an image of success, which makes sparkling pearly whites the perfect proxies for Bendzulla’s slick digital aesthetic of simulation, which might also be described as an image politics of the facade that constantly thematizes its own superficiality. Anyone who engages more deeply with this aesthetic register will find it has long been characterized by a close dance of asepsis and glitches, in which renderings are used in such a way that they come to slip on their own smoothness. The artist’s dive into the dental therefore seems almost logical, since we perceive asepsis as a deficient outcome when dealing with teeth, such as when the whitening tray is left on for a few minutes too long, or when ceramic veneers display the same mathematical stringency as a picket fence. This motivic densification, which goes hand in hand with a tightening of Bendzulla’s pictorial program, corresponds to a reduction of the presented information. While just a short time ago, one might still have gained the impression that his digital practice – despite all categorial differences – was increasingly leaning toward painting, its playful use of painterly references and mimicked brushwork have subsequently been visibly reduced in favor of a smoothness that is increasingly subordinated to the impression that is to be conveyed. The new images are all appearance, performing themselves, while also inflecting this through their layers: kitchens, bedrooms, living rooms, each from the hand of an interior architect and fully rendered, and for this very reason too cold and generic for even a fruit fly to be able to exist within them. And this is precisely why the works from “White Cube White Teeth” reflect Bendzulla’s program in its purest form – his technophilia and fascination with the seductive appeal of digital imagery, in which everything appears just a little too perfect, too clean, too smooth. And which, with just a little exaggeration, unfolds a comedic potential that is entirely capable of leaving a few scratches on the master signifier of perfection.
Text Moritz Scheper
Translation Ben Caton
Glänzend weiße Zähne, sie sind konstitutiver Bestandteil einer gewinnenden Erscheinung, strahlen Gesundheit aus, manchmal auch Virilität. Im Wissen darum helfen gar nicht mal so Wenige nach, bleachen oder lassen direkt Keramik aufkleben. Auch in Johannes Bendzullas aktuellem Satz Bilder „White Cube White Teeth“ gibt es Zähne zu sehen, die in den letzten Jahren so etwas wie ein Leitmotiv bei ihm geworden sind. Zu sagen, dass es dabei um Zähne ging, wäre dennoch zu hoch gehängt, vielmehr dürfte sein Interesse an ihnen darauf zurückzuführen sein, dass Zähne allgegenwärtig sind. Schließlich hat Bendzulla in den letzten Jahren sukzessive die Diskursivität seiner Arbeiten runtergedimmt und sich einem komprimierten Materialstock zugewendet, der frei durch seine Bilder flottiert. Zähne scheinen da zunächst einmal unverfänglich und frei von tiefergehenden motivischen Implikationen. Neben Ubiquität sind Zähne aber auch reinweiß, glänzend und zentral für einen gelungenen Auftritt, weswegen die funkelnden Beißerchen perfekte Platzhalter der slicken digitalen Simulationsästhetik Bendzullas darstellen, welche man auch als ‚Bildpolitik der Fassade’ bezeichnen könnte, die permanent die eigene Oberflächlichkeit zum Thema macht. Wer sich tiefer mit ihr auseinandersetzt, wird feststellen, dass diese Bildpolitik bereits länger ein Engtanz von Asepsis und Glitches auszeichnet, bei dem Renderings so zum Einsatz kommen, dass sie auf der eigenen Glätte ausrutschen. Daher ist der Griff ins Gebiss fast schon konsequent, nehmen wir doch bei Zähnen Asepsis direkt als mangelhafte Ausführung wahr, etwa wenn die Bleichschiene ein paar Minuten zu lange draufgeblieben ist oder die Keramikleiste in der mathematischen Strenge eines Lattenzauns kommt. Mit dieser motivischen Verdichtung, die mit einer Straffung von Bendzullas bildnerischem Programm einhergeht, korrespondiert eine Reduktion der präsentierten Information: Konnte man vor gar nicht langer Zeit noch den Eindruck gewinnen, dass sich seine digitale Praxis – aller kategorialen Unterschiede zum Trotz – verstärkt der Malerei zugeneigt hätte, hat inzwischen die Verspieltheit aus Malereireferenzen und Pinselmimikry merklich abgenommen zugunsten einer Glätte, die verstärkt dem zu wahrenden Eindruck untergeordnet ist. Die neuen Bilder sind ganz Auftritt, bringen sich zur Aufführung, deklinieren das aber auch durch die Bildebenen –Küchenräume, Schlafzimmer, Wohnzimmer, jeweils aus Innenarchitektenhand und durchgerendert, und genau darum zu kalt und generisch, als das eine Fruchtfliege darin existieren könnte. Und genau deshalb geben die Arbeiten aus „White Cube White Teeth“ Bendzullas Programm in Reinform wieder, seine Technophilie und die Faszination für den verführerischen Appeal digitaler Bildlichkeit, in der alles einen Tick zu schön, zu sauber, zu glatt aussieht. Was nur leicht überdreht ein komödiantischen Potenzial entfalten, welches am Herrensignifikanten Perfektion durchaus ein paar Schrammen zurücklässt.
The conceptual approaches of these artists, who all live in Germany or Austria, are as diverse as the techniques used in their works. What they all have in common is a restrained and reduced use of color.
Drawings in pencil or colored pencil attract less attention at first glance due to their lack of intense color, but for many artists they represent the beginning of an idea and thus acquire a high significance. The drawn or painted line fixes outlines, creates frottages, and builds structures, as well as filling entire surfaces, to name just a few aspects of the exhibited works. With the works of these four artists, we present a variety of thematic concepts and shared formal similarities.
In her reduced drawings and objects, Sofie Thorsen (b. 1971, Arhus, DK) explores the role of archives, depots, historical visual materials, and archaeological collections as repositories of our cultural and sociopolitical memory. Created using the frottage technique, the works on paper depict fragments of a destroyed relief.
Theresa Eipeldauer (b. 1984, Vienna, AT) focuses and multiplies the line, giving a suggestion of three-dimensionality. The tube-like elements laid over and under each other evoke connotations of a dynamic labyrinth; contrasts and repetitions create spaces or objects.
Bastian Muhr (b. 1981, Braunschweig, DE) uses soft, geometric, monochrome forms to produce motifs that often have a strong internal structure. They consist of thick lines applied with oil paint and cannot be clearly classified as either figuration or abstraction. Filling the image space, they seem compact and dynamic.
In the paintings of Christoph Lohmann (b. 1967, Remscheid, DE) the viewer can see figures constructed from simple lines. While they resemble sculptural scaffolding, they convey his enjoyment of painting. Lohmann’s titles testify to his sense of humor while playfully experimenting with his position as a painter.
The last weekend in June marks the second time that the gallery is participating in the project “strike — a pose,” which focuses on the interfaces between visual art and fashion.
The unifying element of the four artists already on display—their linear drawings—forges a stylistic link to the delicate works of Elisabeth Bertelmann. Among other subjects, she examines the artistic craft of bobbin lace. First mentioned in the sixteenth century, this craft has been modified and adapted to reflect contemporary tastes throughout every period of art history. It is a highly complex handicraft technique in which threads are woven together using bobbins. Bertelmann sees herself as a continuation of the tradition of the Wiener Werkstätten (1903–1932), a collective of visual artists that advocated for the union of art and craft. The richly detailed collars, brooches, and ribbons presented in display cases are an unusual complement to her models.
Elisabeth Bertelmann’s works are available as one-of-a-kind pieces or made to order and are produced in cooperation with traditional lace makers in Germany.
Die inhaltlichen Ansätze der in Deutschland und Österreich lebenden Künstler*innen sind so vielfältig, wie die Techniken, die in den Werken angewendet werden. Gemeinsam ist allen eine farbliche Zurückhaltung und Reduziertheit.
Zeichnungen mit Blei- oder Buntstift ziehen durch fehlende Farbintensität auf den ersten Blick weniger Aufmerksamkeit auf sich, stellen jedoch für viele Künstler*innen den Beginn einer Idee dar und nehmen somit einen hohen Stellenwert ein. Mit der gezeichneten oder gemalten Linie werden Umrisse fixiert, Frottagen erstellt, Strukturen aufgebaut, aber auch ganze Flächen gefüllt, um nur einige Aspekte der ausgestellten Werke zu nennen. Mit den Arbeiten der vier Künstler*innen zeigen wir unterschiedliche inhaltliche Konzepte und verbindende formale Ähnlichkeiten.
Sofie Thorsen (*1971, Arhus, DK) setzt sich in ihren reduzierten Zeichnungen und Objekten mit der Rolle von Archiven, Depots, historischen Bildmaterialien und archäologischen Sammlungen als Speicherorte unseres kulturellen wie soziopolitischen Gedächtnisses auseinander. Die mittels Frottage-Technik entstandenen Papierarbeiten zeigen Fragmente eines zerstörten Reliefs.
Theresa Eipeldauer (*1984, Wien, A) fokussiert und multipliziert die Linie, wodurch Dreidimensionalität suggeriert wird. Ein Über- und Untereinander der röhrenähnlichen Elemente wecken die Assoziation eines dynamischen Labyrinthes; Kontraste und Wiederholungen kreieren Räume oder Objekte.
Bastian Muhr (*1981, Braunschweig, DE) benutzt weiche, geometrisch monochrome Formen, um Motive zu erzeugen, die oft eine starke Binnenstruktur aufweisen. Sie bestehen aus dicken Linien, die mit Ölfarbe aufgetragen sind und können weder eindeutig der Figuration noch der Abstraktion zugeordnet werden. Formatfüllend wirken sie kompakt und dynamisch.
Auf den Bildern von Christoph Lohmann (*1967, Remscheid, DE) erkennt man Figuren, die aus einfachen Linien konstruiert werden. Sie gleichen bildhauerischen Gerüsten und vermitteln doch ein Vergnügen an der Malerei. Lohmanns Titel zeugen von Humor und spielen gleichzeitig mit der Position als Maler.
Am letzten Juni-Wochenende nimmt die Galerie zum zweiten Mal an dem Projekt „strike — a pose“ teil, bei dem die Schnittstellen zwischen Bildender Kunst und Mode thematisiert werden.
Das verbindende Element des zeichnerisch Linearen der vier bereits ausgestellten Künstler*innen baut eine stilistische Brücke zu den filigranen Arbeiten von Elisabeth Bertelmann. Sie setzt sich unter Anderem mit dem Kunsthandwerk des Klöppelns auseinander. Dieses Handwerk wird erstmals im 16. Jahrhundert erwähnt und wurde in allen kunsthistorischen Perioden modifiziert und dem Zeitgeschmack angepasst. Es handelt sich um eine hoch komplexe Handarbeitstechnik, bei der Fäden mittels Klöppel zu einem Flechtwerk gearbeitet werden. Bertelmann sieht sich in der Tradition der Wiener Werkstätten (1903-1932), einer Produktionsgemeinschaft bildender Künstler, die für den Verbund von Kunst und Handwerk postulierte. Die detailreich gefertigten Krägen, Broschen und Bänder, die in Vitrinen präsentiert werden sind eine ungewöhnliche Ergänzung zu ihren Modellen.
Elisabeth Bertelmann‘s Arbeiten sind als Einzelstücke oder als Made-to-Order erhältlich und sind in Kooperation mit traditionellen Klöpplerinnen in Deutschland entstanden.
in the context of Photo + Biennale for Visual and Sonic Media
opening hours: Fri 2-8pm, Sat 12-6pm, Sun 12-6pm
www.duesseldorfphotoplus.de
Two formal elements shape the current exhibition’s pictorial narrative. Two surfaces, arranged as a pair, are strikingly placed in the foreground; in the background, two nested beam structures stand for much more than a purely constructivist method of composition. While Stoya uses these surface pairs to connote reflective surfaces—on which, ever in the present, a film or comparable imaginative sequences could be played both for himself and the viewer—he associates the stacking of the seemingly weightless beam structures with the artificial “storage” of memories. And just as one memory can trigger another, most surface pairs are able to reflect each other.
The marked hovering nature of all these forms is particularly striking. In addition to the colors’ immanent oscillations, a decisive factor for this effect is provided by the transparent, hazy surface and beam segments. Yet if something is in limbo, the slightest external or internal stimulus is enough to provoke changes. It is precisely this kinetic flow, the results’ refusal to be static, that establishes an important conceptual dimension; it goes as far as pictorially embodying the stated “lightness of doing” (if not being). This is also due to the fact that the coexistence or juxtaposition of warm and cold hues, beyond triggering different sensations, sublimely balance the perceptual patterns belonging to rational contemplation and emotional empathy.
It is the anchoring of the artist’s seemingly purely abstract chromatic resonances in a multilayered expressive substance that stands out most distinctively as soon as we visualize Stoya’s postulate “color = joy = resistance,” which may seem disconcerting at first glance. It is quite evident that “color = joy” considering the radiance of color pigments, the buoyant lightness of forms, and the gravitation of preserved memories. But “color = resistance”? It is possible to understand this part of the equation if we bear in mind that Stoya does not regard joy merely as an expression of light-hearted cheerfulness, but as a source of energy and stimulus to counteract unfortunate personal and social circumstances, to change them in a constructive way. The path and the goal of “resistance” thus become two homogeneous entities, an artistic credo that, in its rarity, provides a further dimension to answer the perennial moral question: “Should we use violence and aggression to react to violence and aggression?” Bearing this ideological foundation in mind, the visual echoes of the spherical chromatic resonances are able to unleash touching aspects of human existence—whether in an instant that is experienced directly or in the inexhaustible reservoirs of memory.
In der aktuellen Ausstellung prägen zwei Formelemente das Bildgeschehen: Zwei paarweise im Bildvordergrund markant platzierte Flächen und zwei ineinander geschachtelte Balkenformationen im Bildhintergrund, die für weitaus mehr stehen als für einen rein konstruktivistischen Kompositionsmodus. Konnotiert Stoya mit den jeweiligen Flächenpaaren Reflexionsflächen, auf denen ein Film oder vergleichbare Imaginationssequenzen in Jetztzeit ablaufen könnten, für ihn selbst wie für den Betrachter, so verbindet er mit den Stapelungen der scheinbar gewichtlosen Balkengebilde das artifizielle ‚Einlagern‘ von Erinnerungen. Und so wie eine Erinnerung eine andere anzustoßen vermag, sind die meisten Flächenpaare in der Lage, sich gegenseitig zu reflektieren.
Auffällig ist das betonte Schweben sämtlicher Formen. Hierzu tragen, neben den immanenten Schwingungen der Farben, die durchsichtigen, schemenhaften Flächen- und Balkensegmente entscheidend bei. Wenn aber etwas sich in einem Schwebezustand befindet, genügt der geringfügigste Impuls von außen oder innen, um Veränderungen herbeizuführen. Genau dieses kinetische Fließen, das Nicht-Fixiertsein der Ergebnisse, bildet ein wichtiges Konzeptmodul, das bis zur bildnerischen Verkörperung der erklärten „Leichtigkeit des Tuns“ (wenn nicht des Seins) reicht. Hierzu gehört, dass das Mit- oder Gegeneinander von warmen und kalten Farbtönen über das Auslösen unterschiedlicher Empfindungen hinaus auf sublime Weise die Wahrnehmungsmuster rationaler Kontemplation und emotionaler Einfühlung ausbalancieren.
Am markantesten sticht die Verankerung seiner scheinbar rein abstrakten Farbklangräume in einer vielschichtigen Aussagesubstanz hervor, sobald man sich Stoyas auf den ersten Blick befremdlich wirkendes Postulat „Farbe = Freude = Widerstand“ vergegenwärtigt. „Farbe = Freude“ ist angesichts der Strahlkraft der Farbpigmente, der beschwingten Leichtigkeit der Formen und einer Gravitation von bewahrten Erinnerungen evident. Aber „Farbe = Widerstand“? Nachvollziehbar wird dieser Part der Gleichung, wenn man sich vor Augen hält, dass Stoya Freude nicht bloß als Ausdruck unbeschwerter Heiterkeit betrachtet, sondern als Energiequelle und Ferment, sich misslichen persönlichen wie gesellschaftlichen Zuständen entgegenzustemmen und diese konstruktiv zu verändern. In dem Fall werden Weg und Ziel des „Widerstandes“ zu zwei homogenen Größen, ein künstlerisches Credo, dass in seiner Seltenheit der steten Gewissensfrage „Sollte auf Gewalt und Aggression mit Gewalt und Aggression reagiert werden?“ eine weitere Antwortfacette hinzufügt. Eingedenk dieser weltanschaulichen Grundierung setzt das visuelle Echo der sphärischen Farbklangräume berührende Momente im menschlichen Dasein frei, ob im unmittelbar erlebten Augenblick oder in den unerschöpflichen Reservoiren der Erinnerung.
We are pleased to commence the 2022 exhibition program with the first solo exhibition by British artist Emma Talbot (*1969). A majority of the exhibited work has already been shown at Dundee Contemporary Arts in Dundee, Scottland, in 2021 and at the Centre Pasquart in Biel, Switzerland. Our presentation comprises an exceptional, three-dimensional work as well as the artist’s characteristic silk paintings, drawings and animations.
It is not only by dint of their size, significance and radiance that Two silk paintings from 2020-2021 occupy the center of the exhibition. Text segments have been integrated into the painterly operation on each of the silks. Forming the core of the texts are two of humanity’s existential questions:
“Where Do We Come From?” – „Woher kommen wir?“
“What Are We?” – „Was sind wir?“
These two questions position Emma Talbot as a creative facette of the classical, Western Enlightenment, whereas her forced answers throw a parade of complex moments of this Enlightenment’s failure. Even more crucial, though, is that the questions can be viewed as crystals that illuminate, like meteors, Talbot’s ideological and artistic cosmos. Once met with a reflexive and empathetic eye, one is quickly drawn into a fascinating vortex.
Privately mythological, visual pupations that shimmer with spirituality stand in juxtaposition to engaged statements of pressing social relevance.
Deeply rooted in the biographical accents of Talbot’s life, which she draws from like a cornucopia, this examination of contemporary challenges belongs as much to the requisites of her work as it does to the balance of our heritage from the origin of humanity.
The essential gravity of subjective thought—given sensual form through oversized silhouettes of heads that function like iconographic signets of her work—clashes with a flood of feelings and sentiments, whose reciprocal attraction triggers a vortex she seeks to capture in her art without appeasing it in the slightest. This occurs even though her ethereal, fairylike figures often overcome their pastel buoyancy to become emissaries, whose admonishments could hardly be more somber.
The exceptionally sedimented spectrum of expression corresponds to a dazzling kaleidoscope of artistic forms and mediums of expression, whereby each individual ferment has its own inner character. For example, the opulence of the silk paintings celebrated on innumerable levels finds its counterpart in the small-format drawings, whose intricate web of lines weave poetic atolls. Her sculptures evidently include not only the most diverse materials but also the most historically and geographically diffuse cultures—like, for example, the Celtic. To take part in this sweeping abundance as a viewer, one would be well advised to trace what is common to virtually every work: an exploratory journey through oneself and the world.
Emma Talbot has been invited to THE MILK OF DREAMS, which Cecilia Alemani curates for the 59th international Art Exhibition -La Biennale Di Venezia.
The artist’s solo exhibitions will be on view later this year at the Maramotti Foundation in Italy, the Whitechapel Gallery in London, UK and the Kunsthalle Gießen, Germany.
Wir freuen uns, im Jahr 2022 das Ausstellungsprogramm mit der ersten Einzelausstellung der britischen Künstlerin Emma Talbot (*1969) zu beginnen. Das Gros der gezeigten Arbeiten wurde bereits letztes Jahr in Dundee Contemporary Arts, Dundee, Schottland und im Centre Pasquart, Biel, Switzerland ausgestellt. Unsere Präsentation umfasst die für die Künstlerin typischen Seidenmalereien, Zeichnungen, Animationen sowie eine außergewöhnliche 3 dimensionale Arbeit.
Zwei Seidenmalereien aus dem Jahr 2021, stehen nicht nur aufgrund ihrer Größe, Signifikanz und Ausstrahlung im Mittelpunkt der Ausstellung. Auf den im Raum oder vor der Wand hängenden Seiden sind Textsegmente in das malerische Geschehen integriert, deren Kern zwei für den Menschen existenzielle Fragen bilden:
„Where Do We Come From?” – „Woher kommen wir?”
„What Are We?” – „Was sind wir?
Diese Fragen weisen Emma Talbot als schöpferische Facette der klassischen abendländischen Aufklärung aus, wohingegen ihre forcierten Antworten eine Parade vielschichtiger Momente des Scheiterns dieser Aufklärung abhalten. Noch maßgeblicher jedoch ist, dass die Fragen als Kristalle betrachtet werden dürfen, in denen Talbots weltanschaulicher und künstlerischer Kosmos kometenhaft aufleuchtet. Einmal einen reflexiven und empathischen Blickkontakt hergestellt, gerät man schnell in einen faszinierenden Strudel.
Privatmythologische, ins Spirituelle changierende, visuelle Verpuppungen stehen engagierten Statements mit hoher gesellschaftlicher Relevanz gegenüber.
Zutiefst verwurzelt in den biografischen Akzenten ihres Lebens, aus diesen wie aus einem Füllhorn bekennendermaßen schöpfend, gehört die Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Herausforderungen ebenso zum Fundus ihres Werkes wie das Austarieren unseres Erbes aus der Ursprungszeit des Menschen.
Die unerlässliche Schwerkraft subjektiven Denkens – versinnlicht in überdimensionierten Kopfsilhouetten, die als ikonografisches Signet ihre Werke pointieren – trifft auf eine Flut von Gefühlen und Empfindungen, deren gegenseitige Sogwirkung einen Strudel entfacht, den sie in ihrer Kunst einzufangen versucht, ohne ihn auch nur im Ansatz zu besänftigen. Und das, obwohl ihre feenhaft ätherischen Gestalten jenseits ihrer pastellenen Beschwingtheit oft genug zu Sendboten werden, deren Menetekel kaum düsterer ausfallen könnten.
Dem außerordentlich sedimentierten Aussagespektrum entspricht ein schillerndes Kaleidoskop künstlerischer Ausdrucksformen und -mittel, wobei jedem einzelnen Ferment ein eigener Charakter inne ist. So wird beispielsweise die auf zig Ebenen zelebrierte Opulenz der Seidenmalereien von kleinformatigen Zeichnungen kontrapunktiert, deren sensible Liniengespinste poetische Atolle weben. Ihre Skulpturen beziehen nicht nur unterschiedlichste Materialien, sondern auch zeitlich wie geografisch entlegene Kulturen – wie beispielsweise die keltische – sinnfällig ein. Um an diesem weitverzweigten Reichtum als Betrachter teilhaben zu können, empfiehlt es sich, die Spur dessen aufzunehmen, was praktisch allen Werken gemeinsam ist: Eine sich selbst und die Welt erforschende Reise.
Emma Talbot wurde zu The Milk Of Dreams, kuratiert von Cecilia Alemani auf die 59th International Art Exhibition, La Biennale di Venezia 2022 eingeladen.
Einzelausstellungen der Künstlerin werden in diesem Jahr in der Maramotti Foundation in Italien, in der Whitechapel Gallery in London, UK sowie in der Kunsthalle Gießen, Deutschland zu sehen sein.
“At the moment I have time”
Usually we don’t have any time, certainly not at the moment—and at best for a moment. But those who have time for a moment in Albrecht Schäfer’s exhibition pause for a moment to engage with one of the greatest philosophical questions, the question of time. It is the Berlin-based artist’s first solo exhibition with Galerie Petra Rinck.
Since time is fleeting, it is precious. Although time is eternal, it is fleeting. Between the fleeting moment of the blink of an eye and the infinite duration of eternity, there is both a causal and a concessive relationship, one that Albrecht Schäfer traces in his observation of everyday situa-tions: How long does a moment last? How does time materialize? How can time be visualized?
In the installation “Augenblick” (2011), we only see a close-up of the artist’s head on a moni-tor, staring straight into the camera. Soon enough, we realize that the flickering of the lights in the room is synchronized to the blinking of his eyes. A human blinks about 10 to 15 times per minute, or every 4 to 6 seconds. The dark period caused by the closing of the eyelids is so short that it is not consciously perceived. Once transferred to the room’s lighting, however, this “blink of an eye” becomes experienceable as the smallest, just barely perceptible duration of time.
On the other hand, the stones arranged with a withered leaf or branch to form painted still lifes symbolize the opposites of eternity and transience. In various series of grisailles with subtle shades of color, they become literal Natures Mortes—dead natures that form lifeless landscapes in the pictorial space. No larger than DINA4, they appear like monumental gems of parsimonious preciousness and sublime beauty.
The chains reaching from the floor to the ceiling are made of hundreds of segments of a single branch and function as a link between fleeting moments and steadfast still lifes. Like pearls on a thread, the tiny branch segments pierced with a hole string together to create a new spatiotempo-ral order in contrast to their natural growth. “When the branch segments are next to each other, I sometimes think of notes, and each note has a slightly different duration. The thin ones are maybe three months old, the thick ones are three years old. For me, the expansion and contraction of the line is also a back and forth in time.” (Albrecht Schäfer)
Free from the pressures of the zeitgeist, Albrecht Schäfer’s art enables precisely what Michael Theunissen describes in “Freedom from Time”: it invites us to linger in aesthetic contemplation.
Dorothea Zwirner 2021
(translation: Good & Cheap)
Meist haben wir keine Zeit, schon gar nicht im Augenblick – allenfalls einen Augenblick. Doch wer im Augenblick Zeit hat, der hält einen Moment inne, um sich in der gleichnamigen Ausstellung von Albrecht Schäfer auf eine der größten philosophischen Fragen einzulassen, die Frage nach der Zeit.
Weil die Zeit vergänglich ist, ist sie kostbar. Obwohl die Zeit ewig ist, ist sie flüchtig. Zwischen dem flüchtigen Moment eines Augenblicks und der unendlichen Dauer der Ewigkeit gibt es sowohl einen kausalen als auch einen konzessiven Zusammenhang, dem Albrecht Schäfer in der Beobachtung alltäglicher Situationen nachspürt: Wie lange dauert ein Augenblick? Wie materialisiert sich die Zeit? Wie lässt sich Zeit sichtbar machen?
In der Installation „Augenblick“ (2011) sehen wir nur den Kopf des Künstlers in Nahaufnahme auf einem Monitor, starr geradeaus blickend und realisieren schnell, dass das Flackern des Raumlichts mit dem Blinzeln seiner Augen gekoppelt ist. Pro Minute blinzelt ein Mensch etwa 10 bis 15 Mal, also alle 4 bis 6 Sekunden. Die durch den Lidschluss bedingte Dunkelphase ist so kurz, dass sie nicht bewusst wahrgenommen wird. In der Übertragung auf das Raumlicht wird der „Augenblick“ jedoch erfahrbar als kleinste, gerade noch wahrnehmbare Zeitdauer.
Dagegen sind die Steine, die mit einem welken Blatt oder Ast zu gemalten Stillleben arrangiert sind, Sinnbilder für den Gegensatz von Ewigkeit und Vergänglichkeit. In verschiedenen Serien von Grisaillen mit subtilen Farbnuancen sind es buchstäbliche Natures Mortes – tote Naturen, die sich im Bildraum zu leblosen Landschaften formieren. Nicht größer als DINA4 erscheinen sie wie monumentale Kleinode von karger Kostbarkeit und sublimer Schönheit.
Als Bindeglied zwischen flüchtigen Augenblicken und ehernen Stillleben fungieren die Ketten, die vom Boden bis zur Decke reichen und aus hunderten von Segmenten eines einzelnen Astes bestehen. Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich die winzigen mit einem Loch versehenen Astsegmente aneinander, um – anders als gewachsen – eine neue Ordnung von Raum und Zeit zu schaffen. „Wenn die Astsegmente nebeneinander liegen, denke ich manchmal an Noten und jede Note hat eine etwas andere Länge. Die dünnen sind vielleicht drei Monate alt, die dicken drei Jahre. Das An- und Abschwellen der Linie ist für mich so gesehen auch ein Hin und Her in der Zeit.“ (Albrecht Schäfer)
Frei von zeitgeistigem Druck ermöglicht Albrecht Schäfers Kunst genau das, was Michael Theunissen in „Freiheit von der Zeit“ beschreibt: Sie lädt ein zum Verweilen in der ästhetischen Anschauung.
Dorothea Zwirner 2021
2 channel audio/video installation
duration: 47:55 min
Horizont unfolds through a series of juxtapositions of objects and interventions, exposed by the pulsing light of a scanner beam as it glides across the picture plane. Clips are sequenced to pan laterally as the light travels mechanically back and forth, illuminating an array of artefacts.
Horizont is equally an anthropological and poetic pursuit. Its source material reflects artistic and archivist impulses, drawn from the everyday and engaging a range of themes which include ecology and destruction, history and digitization, violence, fertility, drugs and economics. At times, the specificity of things and their connotations – a lit cigarette on one screen and a drained coffee cup the another – slip into affective, evocative relationships. In combinations like a smiley face on the one side and a lonely, writhing maggot on the other, vitality meets vanitas*. The two screens face each other as if in conversation, playing semantic tug of war between sense and nonsense, humour and solemnity, and engaging both the cosmic seeker and the speculative analyst.
Mantra-like, the work’s soundtrack instils a hypnotic pulse that drives a polyrhythmic grid into which viewers can drift and return, observe and associate. Its immersive experience makes the lapses more apparent, too, for example when Astali / Peirce video call themselves from a smartphone placed on the scanner and reveal themselves alongside their rigged machinery, or when the scanner scans itself in a single, cascading image. Audio and visual glitches merge with intentional sleights of hand and inflect disruptions in authorship with a sense of reflexivity, even intimacy. They tease the notion that the self might hinder a more intuitive kind of understanding and also raise questions of how willingly we attribute and construct meaning, even in the most fortuitous and fleeting of constructions.
The scanner in Horizont serves as frame, stage and platform for these intrapsychic explorations. It offers the artists form and function: a site of bureaucratic, automated toil as much as ritual. For a culture addicted to the production of self through ever-changing modes of consumption, Horizont offers a sweeping inventory of the now. Post-mortem, it looks down and out, back and in, in order to cast collective sightlines forward. In their complex layering of histories and meanings, Astali / Peirce deliver both an index of the flawed machine in which we operate and a comment on our role in sustaining it.
* vanitas : “A vanitas is a symbolic work of art showing the transience of life, the futility of pleasure, and the certainty of death, often contrasting symbols of wealth and symbols of ephemerality and death. Vanitas themes were common in medieval funerary art.”(https://en.wikipedia.org/wiki/Vanitas)
Isabel Parkes, 2021
Zweikanal Audio/Video-Installation
Laufzeit: 47:55 min
Horizont entfaltet sich anhand einer Reihe von Objekten und Interventionen, die einander gegenübergestellt werden. Beleuchtet werden diese vom pulsierenden Licht eines über die Bildebene gleitenden Scannerstrahls. Die Sequenzen ziehen horizontal über die Projektionsfläche, während das Licht mechanisch hin und her wandert und eine Reihe von Artefakten beleuchtet.
Horizont ist ein gleichermaßen anthropologisches wie poetisches Unterfangen. Das dem Alltag entnommene Quellenmaterial spiegelt künstlerische und archivarische Impulse wider und greift eine Reihe von Themenkomplexen auf, darunter Ökologie und Zerstörung, Geschichte und Digitalisierung, Gewalt, Fruchtbarkeit, Drogen und Wirtschaft. Mitunter gehen die Eigenheiten der Dinge und ihre Konnotationen – eine brennende Zigarette auf einer Leinwand und eine geleerte Kaffeetasse auf der anderen – affektive, evokative Beziehungen ein. In Arrangements wie dem eines Smileys auf der einen und einer einsamen, sich windenden Made auf der anderen Seite trifft Vitalität auf Vanitas*. Die beiden Bildflächen stehen sich wie in einem Gespräch gegenüber und liefern sich ein semantisches Tauziehen zwischen Sinn und Unsinn, Humor und Ernst, das sowohl die kosmischen Sucher*innen als auch die spekulativen Analytiker*innen in seinen Bann zieht.
Einem Mantra gleich erzeugt die Tonspur einen hypnotischen Puls, der ein polyrhythmisches Raster vorgibt. In dieses können die Betrachtenden eintauchen, sich treiben lassen und zurückkehren, um die Blicke schweifen zu lassen und frei zu assoziieren. Die immersive Erfahrung lässt auch die Aussetzer deutlicher hervortreten, etwa wenn Astali / Peirce sich selbst per Videoanruf von einem auf dem Scanner platzierten Smartphone anrufen und sich neben ihrer Apparatur zu erkennen geben, oder wenn der Scanner sich selbst scannt und ein kaskadenförmiges Bild hervorbringt. Akustische und visuelle Störungen verschmelzen mit Taschenspieler*innentricks und verleihen den intendierten Brüchen mit der Autor*innenenschaft ein Gefühl der Reflexivität, ja sogar der Intimität. Durch diese Störungen scheinen Astali / Peirce zu suggerieren, dass das Selbst einem intuitiveren Verstehen möglicherweise im Wege steht, und sie machen darauf aufmerksam, wie bereitwillig wir Bedeutungen zuschreiben und konstruieren, selbst gegenüber den fragilsten und flüchtigsten Zusammenhängen.
Der Scanner in Horizont dient als Rahmen, Bühne und Plattform für diese intrapsychischen Erkundungen. Er bietet den Künstlern Form und Funktion: ein Ort der bürokratischen, automatisierten Arbeit und ein Ritual. In einer Gesellschaft, die süchtig ist nach der Produktion des Selbst durch sich ständig verändernde Konsumformen, unternimmt Horizont eine umfassende Bestandsaufnahme des Jetzt. Post-mortem, Horizont blickt nach unten und nach außen, rückwärts und nach innen, um unsere kollektive Sichtweise nach vorne zu lenken. In ihrer vielschichtigen Überlagerung von Geschichten und Bedeutungen erstellen Astali / Peirce nicht nur einen Index der mangelhaften Maschine, in der wir uns bewegen, sondern formulieren auch einen Kommentar zu unserer Rolle bei deren Aufrechterhaltung.
* Vanitas: „Eine Vanitas ist ein symbolisches Kunstwerk, das die Vergänglichkeit des Lebens, die Sinnlosigkeit des Vergnügens und die Gewissheit des Todes veranschaulicht, wobei häufig Symbole des Reichtums der Vergänglichkeit und des Todes gegenübergestellt werden. Vanitas-Themen waren in der mittelalterlichen Grabmalkunst weit verbreitet.“ (https://en.wikipedia.org/wiki/Vanitas, Direktübersetzung)
Isabel Parkes, 2021
Die dem Ausstellungstitel innewohnende Ambivalenz ist symptomatisch für Brögs Arbeiten. Einfach und klar treten uns drei Begriffe entgegen von denen wir intuitiv zu wissen glauben was Sie benennen, doch schon der erste Ansatz gedanklicher Nachverfolgung lässt uns die labyrinthische Ausbreitung der vielfältigen Pfade erahnen, die uns zur weiteren Erkundung angeboten werden.
Die Ausstellung vereint ausschließlich neue Arbeiten und Werkgruppen. Wie wir es von früheren Ausstellungen Brögs kennen werden Themen und Motive in vielfältigen Formaten und Medien durchgespielt. Wir begegnen Skulpturen, Zeichnungen, Bildern (Bildräumen), die sich auf verschiedenen Ebenen wechselseitig beeinflussen.
Kurven – In der Mathematik ist eine Kurve ein eindimensionales Objekt und kann jeden beliebigen Verlauf annehmen. Ob die Kurve in der zweidimensionalen Ebene liegt („ebene Kurve“) oder in einem höherdimensionalen Raum (siehe Raumkurve), ist in diesem begrifflichen Zusammenhang unerheblich.
Eier – Mit 15 Zentimetern Durchmesser und einem Gewicht von 1.500 Gramm haben afrikanische Sträuße die absolut gesehen größten Eier der Welt, für die man zum Weichkochen über eine Stunde benötigt.
Blasen – Eine Blase ist ein gasförmiger Körper innerhalb einer Flüssigkeit. Er ist von dieser durch eine in sich geschlossene Phasengrenzfläche getrennt. Befinden sich Blase und Flüssigkeit in Ruhe zueinander, so ist die Blase kugelförmig.
We are pleased to announce a new exhibition of work from Lothar Götz, which will be on view by appointment at the gallery from the 13 March onwards. We hope also to host a celebratory event to view the show later in its run, once this is permitted.
Götz’s latest work, produced predominantly during a year of intermittent lockdowns, can be seen as an exploration of what he describes as ‘the abstract space of the private’.
This engagement with the idea of the private comes in part from living under lockdown within the reduced horizons of domestic space: reflected in the smaller scale of many works here, produced in the studio of Götz’s London home.
The work however as much questions as reflects this notion of the private, the boundaries of which are increasingly blurred in any case given zoom business meetings in bedrooms and with instagram increasingly constructing and mixing our private and public personas together.
Götz describes his own experience of lockdown as a kind of exile, separated from the normal stimuli and range of experience, not least of gallery and museum-going. This is reflected in a core series of small drawings here, which are responses to other artists’ work seen in art books at home as opposed to in galleries, each being what he describes as a ‘private dialogue between an image and myself’. In particular, several works are responses to works by Paul Klee and what Götz describes as ‘the intimate quality of Klee’.
A further ‘green series’ of drawings meanwhile have their origin in memories from the artist’s last experience of wider horizons: walking in the Ramsau in Austria. These take as their cue the different type of privacy experienced in being on your own in the enclosed space of the forest – from the intricacies of the forest floor to views out between trees to mountains beyond.
Götz has chosen one drawing from each of these two series to be woven as rugs, objects that themselves speak in scale of domestic space. For the artist, they remind him specifically of childhood, when he describes lying on similar rugs as like ‘being on an lsland’, their patterning ‘a landscape in itself’ – an imaginary space taking him beyond domestic horizons.
Prominent is the inclusion of a single square wall painting in the show. This relates to his ‘kitchen disco’ series of paintings, inspired by listening to dance tracks at home while remembering the experience of going clubbing: of being locked into your own world on the dance floor, surrounded by strangers in the dark under flashing strobe lights. Unusually for Götz, whose wall paintings usually flood the whole wall surface, this sits as a defined space on the wall, its boundaries clearly demarcated. But the abstract shapes it contains are reminiscent of rays of light, suggestive of the revelation of complete freedom that can be felt on the dance-floor.
Rob Wilson London 2021
Wir freuen uns ganz besonders auf die neue Ausstellung mit Lothar Götz, die ab dem 13. März in unseren Galerieräumen zu sehen sein wird.
Leider ist es im Augenblick noch nicht möglich Sie zu einer gemeinsamen Eröffnung/Veranstaltung einzuladen, wir sind aber optimistisch, das zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können. Bis dahin stehen wir gerne zur persönlichen Terminabsprache zur Verfügung.
Lothar Götz’ jüngste Arbeiten, die überwiegend in einem Jahr des wiederkehrenden Lockdowns entstanden sind, können als Erkundung dessen, was Götz als den „abstrakten Raums des Privaten“ beschreibt, gedeutet werden.
Die Beschäftigung mit der Idee des Privaten rührt zum Teil vom Leben im Lockdown her, dessen Horizont sich auf den häuslichen Raum beschränkt. Dies spiegelt sich auch in dem relativ kleinen Maßstab vieler der hier präsentierten Arbeiten wieder, die im Atelier von Götz‘ Londoner Wohnsitz entstanden sind.
Der Begriff des Privaten, dessen Grenzen angesichts von in Schlafzimmern abgehaltenen Business-Zoom-Konferenzen und der zunehmenden Konstruiertheit und Vermischung unserer privaten und öffentlichen Person auf Instagram zunehmend verwischen, wird in den Werken gleichermaßen in Frage gestellt wie abgebildet.
Götz beschreibt seine eigene Lockdown-Erfahrung als eine Art Exil, abgeschnitten von den üblichen Reizen und der normalen Erfahrungswelt, und damit nicht zuletzt von Galerie- und Museumsbesuchen. Diese Erfahrung verarbeitet er in der zentralen Serie kleiner Zeichnungen, die sich jeweils auf Werke anderer Künstler*innen beziehen; Werke, die Götz nicht in Galerien, sondern in Kunstbänden betrachtet hat. Jede dieser Zeichnungen beschreibt er als „privaten Dialog zwischen einem Bild und mir“. Einige der Arbeiten beziehen sich auf Werke von Paul Klee und auf das, was Götz als „intime Qualität Klees“ bezeichnet.
Eine weitere Serie von Zeichnungen, die green series, beruht indes auf Götz‘ Erinnerungen an sein letztes Erlebnis vor weitem Horizont: eine Wanderung in der Ramsau in Österreich. Das Thema dieser Arbeiten sind die unterschiedlichen Arten von Privatsphäre, die das Alleinsein im abgeschlossenen Raum des Waldes mit sich bringt – von den Feinheiten des Waldbodens hin zu Ausblicken zwischen den Bäumen hindurch auf die umgebenden Berge.
Götz hat aus beiden Serien je eine Zeichnung als Vorlage für einen Teppich ausgewählt, gewebte Objekte, die in ihrem Maßstab vom häuslichen Raum erzählen. Sie wecken im Künstler spezifische Kindheitserinnerungen; auf solchen Teppichen zu liegen, war für ihn wie „auf einer Insel zu sein“, ihr Muster beschreibt er als „eine Landschaft für sich“ – als imaginären Ort, der ihn über den häuslichen Horizont hinausträgt.
Ein einzelnes quadratisches Wandgemälde sticht aus der Auswahl für die Schau heraus. Das Gemälde nimmt Bezug auf seine Gemäldereihe kitchen disco, die wiederum von der Erfahrung inspiriert ist, Tanzmusik zuhause zu hören und dabei an durchtanzte Clubnächte zurückzudenken: an das Eingeschlossensein in eine eigene Welt auf der Tanzfläche, umgeben von Fremden im blitzenden Stroboskoplicht. Im Gegensatz zu Götz‘ anderen Wandgemälden, die üblicherweise die ganze Wandfläche füllen, nimmt dieses einen abgegrenzten Raum an der Wand ein, mit klar umrissenen Grenzen. Doch die darauf abgebildeten abstrakten Formen erinnern an Lichtstrahlen, die das Gefühl absoluter Freiheit andeuten, das sich auf der Tanzfläche offenbaren kann.
Rob Wilson, London 2021
Übersetzung: Good & Cheap
«Art Cologne + New Positions»
In der Galerie mit neuen Arbeiten
“…I thus remained in that same place for a certain while, and the eye hesitated under the differing levels of brightness; then all at once I began to move and went very quickly inland like someone whose thoughts, having long been driven back and forth, began once again to find equilibrium; when they then come together into a single idea they bring with them for the body the decision for a certain movement, a determined stance.”
Paul Valéry, Eupalinos, 1923
Laurenz Berges’ (born 1966 in Cloppenburg) photographs narrate the disappearing urban landscapes of our time, with an attentive eye for a multitude of urban details and signs. They pose questions about the necessary transformation of our society; the structural change that flows from it and which can be seen in the architectures and spaces of our towns and cities. Is the functioning town and cityscape a dated, nostalgic idea whose only attraction is drawn from a flourishing past, from an image of a functioning and aspiring society? Or does decay also offer a chance to be the beginning of all change?
Bernhard Fuchs’ photographs, on the contrary, show places from the landscapes of his childhood, with entirely different connotations—defined by the rural cultural landscape of Austria’s Mühlviertel, where the artist was born in 1971 and subsequently spent his childhood.
And despite the vastness of the landscape, which seems bordered only by hills, woods, and the distant horizon, the photographs convey ideas of intimacy and boundary, of enclosed space, with the dichotomy of darkness and light and infinite nuance hidden within.
Albrecht Schäfer, born in Stuttgart in 1967, focuses on what is closest to him in his daily observations, finding the motifs for his small reduced-color oil paintings exclusively in his studio. It is here that he builds models of those very spaces and arranges his reserved subjects. Over an extended period of time, his painting edges closer to them by subjecting them to a sharp reduction until they become mysterious surfaces and painted spaces, from which a fascinating concentration and quiet emanate.
What all three practices have in common is that in the works shown, the human being is not depicted—that being overwhelmingly responsible for the design of cultural landscapes and spaces, towns, cities, and houses. The works thus implicitly also address the question of its disappearance. Have we extinguished ourselves through persistently incorrect behavior or have humans simply become observers of that which they have been changing and shaping for generations? But the “void” experienced due to the absence of the image of the human is nonetheless deeply human. There is a confidence that emerges from these works, as we are directed to the object via the artist’s view and feel their love for the object, the landscape, and the detail—their concentration and the necessity of their work.
(Translation: Good & Cheap)
„…so blieb ich eine gewisse Zeit auf demselben Platz, und das Auge zögerte unter den verschiedenen Helligkeiten; dann auf einmal setzte ich mich in Bewegung und ging sehr schnell landeinwärts wie einer, dessen Gedanken, nachdem sie lange nach allen Seiten hin und her getrieben worden war, anfangen sich zurechtzufinden; wenn sie sich dann in einer einzigen Idee zusammenfinden, bringen sie zugleich für seinen Körper den Entschluss einer bestimmten Bewegung und einer entschlossenen Haltung mit sich. …“
Paul Valéry, Eupalinos, 1923
Laurenz Berges‘ (*1966 in Cloppenburg) Fotografien erzählen mit einem aufmerksamen Blick für zahlreiche urbane Details und Zeichen von den vergehenden Stadtlandschaften unserer Zeit. Sie stellen Fragen zum notwendigen Umbau unserer Gesellschaft und dem damit verbundenen Strukturwandel, der sich in den Architekturen und Räumen unserer Städte ablesen lässt. Ist die funktionierende Stadtlandschaft eine überkommene nostalgische Idee, deren einziger Reiz in der blühenden Vergangenheit liegt, die von der Vorstellung einer funktionierenden und aufstrebenden Gesellschaft geprägt ist? Oder bietet der Verfall auch die Chance, der Anfang aller Veränderung zu sein?
Die Fotografien von Bernhard Fuchs hingegen zeigen mit den Landschaften seiner Kindheit gänzlich anders konnotierte Orte – bestimmt durch die ländlich geprägte Kulturlandschaft im Mühlviertel in Österreich, wo der Künstler 1971 geboren wurde und aufwuchs.
Und trotz der Weite der Landschaft, die allein durch Hügel, Wälder und den fernen Horizont begrenzt zu sein scheint, vermitteln die Fotografien Vorstellungen von Enge und Begrenzungen, von eingeschlossenen Räumen, bei denen es um die Dichotomie von Dunkelheit und Licht und die unendlichen, darin verborgenen Nuancen geht.
Albrecht Schäfer, 1967 in Stuttgart geboren, richtet seinen Blick auf das, was ihm in seinen täglichen Beobachtungen am nächsten ist. So findet er die Motive seiner kleinformatigen, farblich reduzierten Ölgemälde ausschließlich in seinem Atelier. Dort baut er Modelle eben jener Räume und arrangiert seine zurückhaltenden Sujets. Über einen längeren Zeiträume hinweg nähert er sich diesen malerisch an, indem er sie einer scharfen Reduktion unterwirft, bis sie zu geheimnisvollen Flächen und gemalten Räumen werden, von denen eine faszinierende Konzentration und Ruhe ausgeht.
Gemeinsam ist allen drei Positionen, dass sie in den gezeigten Arbeiten auf die Darstellung des Menschen verzichten, also auf diejenigen, die maßgeblich für die Gestaltung der Kulturlandschaften und Räume, der Städte und Häuser verantwortlich sind. Somit thematisieren die Werke implizit auch die Frage seines Verschwindens. Haben wir uns selbst durch langanhaltendes, falsches Verhalten ausgelöscht oder ist der Mensch einfach nur zum Beobachter dessen geworden, was er seit Generationen verändert und gestaltet? Die durch das Fehlen des Abbild des Menschen erfahrbare „Leerstelle“ ist aber dennoch zutiefst menschlich. Es geht von den Arbeiten eine Zuversicht aus, da wir durch den Blick des Künstlers auf das Objekt gelenkt werden und seine Liebe zum Gegenstand, zur Landschaft, zum Detail ebenso spüren wie seine Konzentration und die Notwendigkeit seines Schaffens.
Unter dem Titel Ne Me Quitte Pas zeigen wir neue Arbeiten von Jörn Stoya, die an seine Ausstellungen Lo-Fi (2017) und Alles Farbe! Jörn Stoya und die Sammlung des Museum Morsbroich, Leverkusen (2019) anknüpfen.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit einem Text von Sabine B. Vogel, aus dem wir hier zitieren möchten.
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Freigestellt im Raum schweben die Formen auf der Leinwand. Manchmal scheinen sie aus dem Bild entweichen zu wollen, manchmal drängen sie sich dicht zusammen. Ihre Farben sind leuchtend, strahlend, Jörn Stoya spricht von einer „Süßlichkeit“, die ihn interessiere . Gemeint ist eine Farbskala voller Pink, Lila und Gelb, in der Stoya weitgehend auf Gegenständlichkeit verzichtet. Seine Farben bilden tiefe, suggestive Bildräume, die bisweilen von der Zentralperspektive geprägt sind, aber immer abstrakt bleiben. Es ist eine üppige Abstraktion, voller Kraft und Lebendigkeit.
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Die Farbe als Seele der Malerei, als paradiesischer Zustand, als Inbegriff von Freiheit und Immaterialität – alle diese Zuschreibungen weisen vor allem auf eines hin: Farbe dient nicht zur rationalen Weltbewältigung. Farbwahrnehmung ist ein unbewusster Weltzugriff, eine Entgrenzung, eine nicht-sprachliche Überwältigung. Die Farbe im Sinne des Kolorit als Weg zur Freiheit, als Tor aus einem begrenzten konkreten Ort ins Unendliche des Farbraums. In Stoyas Werk entspricht diesen Zuschreibungen die spezielle Bildtechnik, mit der der Künstler die Farbe gänzlich aus der Gegenstandsbindung befreit hat und als eigenständigen Ausdrucksträger einsetzt: Die Bilder liegen auf einem Tisch, mit der Hand reibt er Pigmente in die Leinwand ein. Ohne vorherige Skizzen, ohne Linien oder Zeichnungen, entstehen die Bilder im Arbeitsprozess.
In ihrer zwischen Zeichnung, Malerei, Skulptur und Installation oszillierenden Kunst ist Emma Talbot seit langem auf der Suche nach immer wirksameren, immer stärker und unwiderstehlicher funktionierenden Formen einer poetischen Übertragung innerer Erfahrungsbilder. Sie bezieht sich in unterschiedlich kombinierten medialen Arrangements auf das Private, auf ihr eigenes emotionales Innen-, Beziehungs- und Familienleben. Beziehungskräfte werden hier Körpern eingeschrieben, die wiederum in Rahmen und Räumen situiert werden. Allerdings geschieht dies nicht als Teil einer exhibitionistischen Überschreitungsroutine – denn der Tiefe der Gefühle entspricht in Talbots Bildwelt auf merkwürdige Weise eine Tiefe des Denkens, das sich inmitten der Bildwelt mit der quasi-dichterischen Unmittelbarkeit der Sprache wappnet. Die von ihr gewählte kombinatorische Ästhetik von Bildern und Texten interagiert höchst eklektisch mit dem zeitgenössischen Universum vernetzter Imaginationen, aus dem sie Partikel und Motive populärer Kultur importiert – womit sie sich einem ständig erweiterten Bild der Welt nähert, wie sie sich einer Frau ihrer Generation und ihres kulturellen Hintergrunds zeigt.
Die Protagonistinnen ihrer in Serien wie als Einzelbild oder skulptural auftretenden, narrativ und situationsbezogen organisierten Erfahrungsbilder sind kindlich proportionierte, transparente Seelenwesen. Diese lassen sich in ihrer offenen Form scheinbar mühelos in abstrakter, oft auch starkfarbig gemalte und gezeichnete Raum- und Rahmenkonstruktionen ein. An der Offenheit, durch die ihre strähnig und vibrierend gezeichneten Figuren sich als osmotisch begabte Gefäße für differenzierteste Gefühle erweisen, wird sinnfällig, dass die Vermittlung zwischen dem Subjektiven und dem Universellen zu Talbots zentralen Zielen gehört.
Dem gegenüber steht die deutsche Künstlerin URSULA, die ihre eigenen mythologischen Welten, biologischen Formen und Fantasiewesen in Zeichnungen und Gemälde überträgt, die der Art Brut nahestehen. Ebenfalls finden sich zahlreiche literarische Elemente in ihrem Werk wieder.
Ursula Schultze-Bluhm, genannt Ursula, begann ihre intensive Beschäftigung mit Malerei und Lyrik erst ab 1950. Es folgten regelmäßige Aufenthalte in Paris, wo sie 1954 den Maler Jean Dubuffet kennenlernte. Beide verband über Jahrzehnte eine enge Freundschaft und gegenseitige künstlerische Wertschätzung, die sich auch in der Aufnahme von Arbeiten Ursulas in Dubuffets Collection de l‘Art Brut in Lausanne niederschlug. Ursula schuf ein eigenständiges Werk, welches sich weder in die Kategorien der Art Brut oder Outsider Art noch in jene gestischer Abstraktion eindeutig einordnen lässt. Großformatige Schrein-Objekte und Pelz-Öl-Assemblagen zeigen eindrücklich das immer wieder Grenzen überschreitende Denken dieser unverwechselbaren Künstlerinnenposition. Bis zu Ihrem Tod 1999 in Köln stellte sie regelmäßig in internationalen Museen und Galerien aus, darunter 1977 auf der documenta 6. Ihre Werke befinden sich u.a. in der Berliner Nationalgalerie (SMBPK), den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main sowie im Musée National d‘Art Moderne, Centre Pompidou in Paris.
“feeling again”
Johannes Bendzulla traces contemporary phenomena and the conditions of artistic, mostly digital image production, as well as considering the expectations that are placed on products of the “creative industry”—in the broadest sense—with regard to authorship and authenticity. In his work process, Bendzulla often reacts to moments where, as part of a commercialized appropriation, that which is supposedly freethinking is transformed into a standardized platitude.
The exhibition feeling again gathers together visual set pieces that aim to evoke the spirit of artistic work anew: depictions of empty exhibition spaces together with fluorescent lighting, canvas material, and painted and drawn elements, which, in their combination as a digital collage, seek to exude the spirit of individual creativity. Another recurring motif is the icon of the artist’s paint palette with a paintbrush that is used in classic computer programs such as Paint. Due to the distortions, reminiscent of tribal designs, the icon can only be recognized by its paintbrush, while in The Jury it could be also identified as a creature’s face. In most of the works, one encounters abstract, monochrome color fields that are created by tracing and then scanning splotches of paint. As an integral element of a now outdated advertising aesthetic, the color splash technique as such aims to convey a dynamic artistic message: this is where work took place, where the making and creating happened. In the act of seemingly endlessly copying these gestures, which always remain the same, Bendzulla staggers the splashes to form abstract structures in The Pest, The hand that feeds, and The Jury, which, on closer inspection, each consist of a single form, while tomatoes and sharks romp between them. In keeping with the idea of working efficiently, Bendzulla uses 3D and rendering programs for modeling the sculptural bodies and simple shadowing, thus giving the works the minimum pictorial depth necessary to satisfy initial scrutiny.
As in his previous series, Bendzulla negotiates the interface of digital, photographic, and “real” source materials, as well as their seamless blending together. This is occasionally expressed in the semblance of physical authenticity. The printed fibers of the canvas material or chipboard acquire a trompe l’oeil-style character through the use of handmade paper; with pencil markings and streaks of color, the structures of the scanned and enlarged drawings also seem so astonishingly real that the works always remain at the limits of the illusory.
On the one hand, feeling again can be interpreted literally, as if the works, contrary to the printed surface, indeed intend to convey a tactile feeling—or at least appear as if they do. The culmination of this carefully maintained “pretense” can be found by inspecting the edges of the images, which give the impression that the works are actually stretched across a frame. It is believable enough to satisfy an initial impression, which is frequently a common mode of viewing a work. The gaze does not amble, it only notices, perceiving the ups and downs that are enough to create the impression of realistic imitation.
On the other hand, the title could in fact be intended to express an overload of that which cannot be immediately understood, which cannot be filtered by one’s own gaze. Something that persists and can withstand the interchangeability of an anonymous mass of images seems almost unfamiliar and unsettling today. For what is perceived as “new” in the course of digitalization and the perpetual repetition caused by the constant circulation of images is ultimately a euphemism for that which seems to be working well at that precise moment; emotion of any kind is therefore hardly necessary.
Jonas Schenk
translation by Good & Cheap
“schon wieder fühlen”
Johannes Bendzulla spürt zeitgeistigen Phänomenen und Bedingungen künstlerischer, meist digitaler Bildproduktion nach und befasst sich mit Erwartungen an Autorschaft und Authentizität, die an Produkte der „Kreativwirtschaft“ im weitesten Sinne gestellt werden. In seinem Arbeitprozess reagiert Bendzulla häufig auf Momente, in denen sich das vermeintlich Freigeistige im Zuge kommerzialisierender Vereinnahmung zur standartisierten Platitüde wandelt.
In der Ausstellung „Schon wieder fühlen“ versammeln sich visuelle Versatzstücke, die abermals den Geist künstlerischer Arbeit heraufbeschwören wollen: Darstellungen von leeren Ausstellungsräumen samt Neonbeleuchtung, Leinwandstoff sowie gemalten und gezeichneten Elementen, die in ihrer Kombinierung als digitale Collage den „Spirit“ individueller Kreativität versprühen wollen. Ein anderes wiederkehrendes Motiv ist das Icon der Farb- oder Künstlerpalette mit Pinsel, welches beispielsweise für klassische Programme wie Paint verwendet wird. Durch die an Tribal-Formen erinnernde Verfremdungen bleibt das Icon einzig am Pinsel erkennbar, während man wiederum in „The Jury“ das Gesicht eines Wesens zu entdecken meint. In den meisten Werken begegnen einem abstrakte, monochrome Farbfelder, bei denen es sich um abgepauste und anschließend eingescannte Farbklekse handelt. Als fester Bestandteil einer mittlerweile gealterten Werbeästhetik will der Farbsplash als solches eine dynamische und künstlerische Botschaft vermitteln: Hier wurde gearbeitet, geschaffen, kreiert. In dem Akt des scheinbar endlosen Kopierens eines immer gleichen Gestus, staffelt Bendzulla die Splashes in „The Pest“ „The hand that feeds“ und ,“The Jury“ zu abstrakten Gebilden zusammen, die bei genauer Betrachtung aus jeweils einer einzigen Form bestehen – während sich zwischen ihnen Tomaten oder Haie tummeln. Ganz im Sinne des effizienten Arbeitens verleiht Bendzulla mit Hilfe von Rendering- und 3D-Programmen den Werken durch Modellierung der plastischen Körper oder einfacher Schattenwürfe ein Mindestmaß an Bildtiefe, den es benötigt, um die Bestandsaufnahme eines ersten prüfenden Blickes zu befriedigen.
Wie in seinen vorherigen Serien verhandelt Bendzulla die Schnittstelle von digitalen, fotografischen und „realen“ Quellenmaterials und dessen reibungslose Vermengung miteinander, was sich mitunter in dem Schein physischer Echtheit äußert. Durch die Verwendung von Büttenpapier bekommen die gedruckten Fasern von Leinwandstoff oder Graupappe einen Trompe-l’œil-artigen Charakter; auch die Strukturen der gescannten und vergrößerten Zeichnungen mit Bleistift und Farbschlieren scheinen verblüffend echt, sodass die Arbeiten stets an der Grenze des Vermeintlichen bleiben.
“Schon wieder fühlen” liest sich einerseits wortwörtlich, als dass die Werke, entgegen der gedruckten Oberfläche, durchaus ein taktiles Gefühl zu vermitteln meinen – oder zumindest so tun als ob. Wie sorgfältig dieser “Schein” aufrechterhalten wird, gipfelt in der Betrachtung der Bildränder, wenn man glaubt, dass die Arbeiten tatsächlich auf einen Keilrahmen gespannt seien. Es genügt für die Wahrung eines ersten Eindrucks, der wie so häufig ein gängiger Modus der Betrachtung ist. Der Blick flaniert nicht, er registriert nur; nimmt Höhen und Tiefen wahr, was genügt, um den Anschein realistischer Nachahmung zu erwecken.
Anderseits meint der Titel gar eine Überforderung dessen auszudrücken, was nicht sofort verstanden werden kann, was nicht vom eigenen Blick gefiltert werden kann. Etwas, was anhält und sich der Austauschbarkeit aus einer anonymen Bildmasse heraus entzieht scheint heute nahezu ungewohnt und irritierend. Denn was im Zuge der Digitalisierung und der ewigen Wiederholung aus einem fließenden Umlauf von Bildern als “Neu“ empfunden wird, ist letztlich ein Euphemismus für das, was gerade zu funktionieren scheint; eine Regung jeglicher Art bedarf es daher eher kaum.
Jonas Schenk
In his current work, Jugoslav Mitevski includes the civilization waste of polystyrene packaging, which has served to protect various mass commodities, as a formative element. These are packaging systems designed mathematically to maximize space utilization. Every angle and every edge fulfills its purpose, not a centimeter is superfluous or left to chance. For these works he dis-assembles, supplements, and re-assembles the fragments of these packagings and makes molds to produce concrete casts that are presented as wall objects or free-standing sculptures. The structure of the starting material is preserved despite the processing with paint or iron powder, and thus refers to its origin. In further procedures the induced fractures and the fragments of broken castings are joined together again, supplemented with additional materials, where necessary supported by steel or wooden constructions to prevent these structures from collapsing, cut again and recast. Until a plate or object is completed, it experiences many incarnations and several aggregate states. In this hybrid form as a reminder of the source material and its abstracted form through the processing, Mitevski asks how ultimately a form emerges and what may be the reason for its appearance.
Nachdem Jugoslav Mitevski mehrere Gruppenausstellungen in der Galerie organisiert hat, freut sich Petra Rinck Galerie nun seine zweite Einzelausstellung zu präsentieren.
Es kann befreiend sein, den Dingen ihren Lauf zu lassen; die Intuition ausschalten und sich des Ballasts von Entscheidungen zu entledigen. Sich dem zu widmen, was wichtig ist. Jugoslav Mitevski entwickelt Systeme, die ihm das Finden und Treffen von eben solchen Entscheidungen abnehmen. Nicht eines Eskapismus wegen, sondern, um sich auf die Form und die innere Logik zu konzentrieren. In seinen Untersuchungen der Möglichkeiten von Malerei, geht es Mitevski darum, strukturierende Parameter in sein Werk zu integrieren, die außerhalb des Ateliers liegen, um sich dem Verlust von Kontrolle hinzugeben. Die Arbeiten sprechen von diesen Verflechtungen und Einflüssen. Mit dem Wechsel zum Beton (und zuletzt Aluminium) als maßgebliches aber vor allem maßgebendes Werksmittel, erreicht er ein Stadium von Möglichkeiten und Einschränkungen, den Werken bei der Entstehung aus dem Blickwinkel des Betrachters zuzusehen. Die chemischen Reaktionen beim Trocknen, im Zusammenspiel der Bearbeitung der Gußformen und anderen Materialien, stellen sich als geeignete Werkzeuge heraus, Abstand zum eigenen Werk zu gewinnen.
In der aktuellen Serie nimmt er sich dem Zivilisationsmüll von Styroporverpackungen an, die dem Schutz diverser elektronischer Gerätschaften gedient haben. Hierbei handelt es sich, wie im Grunde den meisten ihrer Art, um Verpackungssysteme, die auf der mathematisch berechneten Maximierung von Raumnutzung ausgelegt sind. Jeder Winkel und jede Kante erfüllt ihren Sinn, kein Zentimeter ist überflüssig oder gar dem Zufall überlassen. Es ist ebenso und nur so richtig. Jeder weitere Gebrauch von Material wäre Verschwendung und diesem genormten Sinne falsch – oder ,verstimmt’, wie es Titel der Ausstellung anklingen lässt. So wie etwa auch ein Instrument verstimmt sein kann und falsche Töne produziert, könnte dieses Falsch-sein ebenso gut eine Alternative zur Harmonielehre aufzeichnen. Von diesem mehrdeutigen Wortspiel ausgehend, nimmt es sich Mitevski zum Anlass, ebenfalls vom Wege abzukommen, weg vom Standard und der Norm, zurück zum Individuellen.
Für seine Ausstellung zerlegt, ergänzt, und setzt er die Fragmente dieser Verpackungen neu zusammen, um anschließend Betongüsse herzustellen, die er als Wandobjekte oder freistehende Skulpturen präsentiert. Die Struktur des Ausgangsmaterials bleibt trotz der Bearbeitung mit Farbe oder Eisenpulver erhalten, und verweist so auf seinen Ursprung. Im weiteren Verlauf lässt der Künstler den Beton wieder aufreißen, dass er brüchig wird und die Objekte ohne weiteren Eingriff ihre Statik verlieren würden. Einzig die angesetzten Prothesen, Verschraubungen mit Metall oder Holz, verhindern, dass diese Gefüge aus Betonformen in sich zusammenbrechen. In dieser Zwitterform als Erinnerung an das Ausgangsmaterial und seiner abstrahierten Gestalt durch Mitevski’s Bearbeitung, geht er der Frage nach, wie letztlich eine Form entsteht und was der Grund für diese oder jene Erscheinung sein mag.
Mitevski’s Interesse gilt dem Weitergeben von Spuren und Informationen, denen er mit archäologischen Blick nachgeht. Der Prozess der Weitergabe des Fragmentarischen, der Analyse der Verarbeitung und der Eingriffe stehen im Mittelpunkt seiner Werke.
In ihrer Gesamtheit nehmen sie die Form eines Archivs von Entscheidungen, Abwägungen und Problemen an. Ein Archiv, welches die unterschiedliche Grade an ,Verstimmungen’ im Hier und Jetzt, ihre Lösungen und Möglichkeiten festhält.
Mitevski studierte an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig bei Frances Scholz. Seine künstlerische Praxis wurde mehrfach durch Stipendien, Projektförderungen unterstützt. Zuletzt von der Kunststiftung NRW, CCA Andrax, Mallorca und dem Kunstfonds Bonn.
Mitevski’s Arbeiten wurden bereits in Gruppenausstellungen in Wien, Amsterdam und Zürich gezeigt und in Solopräsentation in New York, Köln und Düsseldorf.
Jonas Schenk
Wie eine präzise technische Zeichnung wirkt eine vierteilige Arbeit der Künstlerin Toulu Hassani in ihrer Ausstellung [xatt] in der Petra Rinck Galerie. Feingliedrige, abstrakt-geometrische Formen scheinen hier vor dunklem Hintergrund zu schweben. Unweigerlich beginnt der Betrachtende nach einer Systematik zu suchen, muss jedoch schnell feststellen, dass die Umrisse keiner direkt nachvollziehbaren Logik folgen. Eine konkrete Zuordnung bleibt somit zunächst verwehrt. Was genau sieht man also in diesen rätselhaften Zeichnungen, die die Künstlerin rückseitig in dunkles Epoxidharz gegossen hat? Sind es frei erfundene Linien und Formen? Oder handelt es sich um Grundrisse, Aufrisse oder Querschnitte eines Objekts, eines Areals? Toulu Hassani verwendet hier als Vorlage Auszüge einer Sternkarte und eines Teilverlaufs der Sonne und erschafft so ein Sinnbild für den unstillbaren menschlichen Drang nach Ordnung, Einteilung, Vermessung, kurz: Erkenntnis. Gleichzeitig ist diesem Versuch der vollständigen Erschließung der Welt oder gar des Kosmos ein latentes Scheitern inhärent. Es scheint fast schon absurd, ein sich stetig ausweitendes Universum in einem statischen, zwei-dimensionalen Medium von einem Standpunkt aus kartieren zu wollen, während man selbst Teil des Systems ist.
Und dennoch: Auf der Suche nach einer allem zugrundeliegenden Ordnung wurden und werden zahlreiche beschreibende Darstellungen angefertigt und Modelle entwickelt, die sowohl das Sichtbare als auch das Unsichtbare abbilden und erklären möchten. Dieses Bedürfnis nach Verstehen und Greifbarmachen sowie die daraus resultierenden Theorien und schematischen Zeichnungen faszinieren Toulu Hassani. Es sind vornehmlich kosmische und astrophysische Referenzen, auf die sich Toulu Hassani in ihren neuen Arbeiten bezieht und die Fragen nach Unendlichkeit, Kausalitäten oder Ordnungen in Raum und Zeit aufwerfen. Doch geht es der Künstlerin nicht um eine direkte Übersetzung von wissenschaftlicher Erkenntnis und Theorie in die Sphäre der Kunst. Ihre Arbeiten möchten kein Vehikel anderer Disziplinen sein, indem Wissen lediglich visualisiert wird. Vielmehr erschafft Hassani in ihrer eigenen Formsprache universelle und übertragbare Analogien. Mittels des ihr vertrauten Repertoires aus reduzierten Linien, Farbe und Material entstehen offene Kunstwerke, die weitreichende Assoziationen evozieren. Toulu Hassanis Arbeiten sind stille, poetische Annäherungen an kosmische Gesetzmäßigkeiten, die in all ihrer vermeintlich technisch-mathematischen Konstruiertheit eine unergründliche Sinnlichkeit ausstrahlen.
Auf einem Bronze-ähnlichen Relief ist beispielsweise eine an vergangene Hochkulturen erinnernde Keilschrift zu sehen (geprägt mit einem handelsüblichen Kantholz), die eine Passage aus dem Kapitel „Zeitpfeile“ aus Stephen Hawkings „Eine kurze Geschichte der Zeit“ wiedergibt. So wie das Medium der Schrift im Verhältnis zum Inhalt hier einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart bildet, so verweist die Grundstruktur der Keilschrift mit ihrer Ähnlichkeit zum Zeitpfeil auf ein zeitliches Kontinuum. Dieser Verlauf von Zeit und Richtung ist auch essentiell im Verständnis um ihre Ölarbeiten. Für das Auge kaum fassbar setzen sich unzählige filigrane Striche zu einem geometrisch-ornamentalen Muster auf den Leinwänden zusammen. Vorder- und Hintergrund kehren sich im Wechsel um, vergebens sucht man hier Anfang und Ende. Geplante Wiederholung und strukturelle Variationen treffen in diesen Ölarbeiten auf den gezielten Bruch mit dem vorher konstituierten System – was bis zur vollständigen Auflösung führen kann und die aufgebaute Anordnung in Unordnung münden lässt.
Der abstrakte Titel der Ausstellung [xatt] – der der Lautschrift des doppeldeutigen persischen Wortes für „Linie“ oder „Schrift“ entspricht – greift zum einen das grundlegende stilistische Element in Hassanis Arbeiten auf und verweist zum andern durch die phonetischen Klammern fast beiläufig auf einen Bezugsrahmen – vergleichbar der Arbeitsweise der Künstlerin.
Toulu Hassani studierte zwischen 2005 und 2012 an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig, zuletzt als Meisterschülerin von Walter Dahn. 2014 war sie als Stipendiatin des International Studio & Curatorial Program (ISCP) in New York und wurde 2016 mit dem Sprengel-Preis für Bildende Kunst der Niedersächsischen Sparkassenstiftung ausgezeichnet – in Verbindung mit einer Einzelausstellung. 2017 hatte sie eine Einzelausstellung in der Rudolf-Scharpf Galerie im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen. Ab Spätsommer 2019 ist Toulu Hassani in einer Gruppenausstellung zur zeitgenössischen Malerei im Kunstmuseum Bonn, dem Museum Wiesbaden, den Kunstsammlungen Chemnitz-Museum Gunzenhauser und in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen.
Lisa Felicitas Mattheis
Petra Rinck Galerie (PRG) im Gespräch mit Lothar Götz (LG)
vom 18. Februar 2019
PRG: ‚If Only‘ ist der Titel deiner 5. Ausstellung in meiner Galerie. Ich denke bei dem Titel an verpasste und noch bevorstehende Möglichkeiten und bin sofort in schwärmerische Gedanken verstrickt.
LG: Der Titel bezieht sich durchaus auch auf das Leben und die, wie du schon sagst, schwärmerischen Vorstellungen was alles hätte sein können. Wohin das Leben gehen kann, was Entscheidungen bewirken und so. Eigentlich ganz normale Dinge wie Liebe oder Umzüge und so weiter.
Aber es hat auch damit zu tun, wie ich eine abstrakte Arbeit zusammensetze oder wie ich mich für eine Arbeit entscheide. Denn auf Malerei bezogen ist ein Ergebnis ja immer auch ein Ergebnis der ganzen ausgelassenenen Möglichkeiten. Also was wäre, wenn ich statt des Grüns ein Orange gemalt hätte.
PRG: Du hast mir erzählt, dass ‚If Only‘ ein Songtitel ist. Ist Musik wichtig für dich?
LG: Der Titel ist auf der Schallplatte ‚Breaking Glass‘ von Hazel O`Connor, die ich das erste Mal mit 18 gehört habe. Es gibt da einen Turning Point im Stück, den ich immer noch wahnsinnig schön finde. Ich höre vorwiegend zu Hause Musik, wo ein Schallplattenspieler steht. Das zelebriere dann regelrecht, wenn ich mich dazu ins Wohnzimmer setze, eine Platte auflege und sie mir dann von vorne bis hinten anhöre. Es geht dabei schon auch um eine Stimmung, in die man versetzt wird.
PRG: Die Zeichnung, die wir für die Einladungskarte genommen haben trägt den Titel ‚Roker Avenue‘. Handelt es sich um einen realen oder einen fiktiven Ort und gibt es für dich einen Unterschied zwischen realen und imaginierten Orten?
LG: Auch ein fiktiver Ort ist nie komplett fiktiv. Wenn ich eine Zeichnung mache, kann es sein, dass sie mit einer Stelle aus einem Buch, Film oder einem Song zu tun hat. Es kann aber auch sein, dass es etwas ist, das ich tatsächlich gesehen habe. Die ‚Country House Serie‘ zum Beispiel, die ich vor ein paar Jahren gezeichnet habe ging auf Landschaften zurück, die ich auf Reisen gesehen hatte und für die ich mir dann fiktive Häuser ausgedacht habe.
Die in der Karte verwendete Zeichnung ‚Roker Avenue‘ bezeichnet jedoch einen realen Ort. Es ist die Promenadenstrasse in Sunderland, direkt am Strand. Es war ein dunkler, verregneter Tag, an dem ich dort in einer Pension mit Blick auf das Meer saß, als plötzlich die Beleuchtung an der Straße, anging, die ganz neu angebracht war. Eigentlich war das eine Weihnachtsbeleuchtung, aber so abstrakt, dass sie auch immer da sein könnte. Es war so toll, als diese Zackenlandschaft in vielen Farben vor dem Nachthimmel anging, dass ich auf die Situation reagiert habe und in den folgenden Abenden in der Pension die Zeichnung gemacht habe.
PRG: In deiner letzten Einzelausstellung bei mir hast du dich mit dem ‚Triadischen Ballet‘ von Oskar Schlemmer beschäftigt. Ist deine Arbeit generell in der Tradition des Bauhauses zu sehen oder wo wurzelt dein größtes Interesse innerhalb der Kunstgeschichte?
LG: Innerhalb der Kunstgeschichte ist für mich die Moderne und das Bauhaus ein Ausgangspunkt, zudem ich immer wieder zurückkomme. In erster Linie interessiert mich aber dort die Architektur, der moderne Raum. Es fing damit an, dass ich schon als Kind begeistert war von Rohbauten, von neuen Bungalows mit Flachdach. Die abstrakte Form, solange es noch Rohbauten sind und man sich vorstellen kann, was es alles werden könnte, das hat mich am meisten interessiert. Damals kannte ich das Bauhaus noch garnicht und das hat ja auch mit diesen Bungalows nur indirekt zu tun.
Erst während meines Studiums in Aachen bin ich dann mit dem Bauhaus in Berührung gekommen. Erst habe dort in der Bibliothek immer wieder Bücher aus der Zeit des Bauhauses studiert. Von dort aus ging es dann weiter hinein in die Kunstgeschichte, zum Beispiel zu De Stijl, wo mich die Farben besonders interessiert haben und später kam der russischen Konstruktivismus und der Futurismus dazu.
Auch die Verbindung des Bauhauses zu Design und angewandten Bereichen fand ich spannend, denn ich wusste lange nicht, dass ich Maler werden würde. Ich konnte mich erst nicht entscheiden, weil ich mich mit der Idee Maler zu sein nicht richtig identifizieren konnte, da ich mich auch für Tanz und Theater begeistert habe. Die Begegnung mit dem ‚Triadischen Ballet‘ war eine richtige Offenbarung für mich, da dort alles was mich interessierte plötzlich zusammen kam. Die Figuren habe ich dann in der Staatsgalerie in Stuttgart gesehen, wo sie schon damals ausgestellt waren.
PRG: Diese kommende Ausstellung wird die erste sein, in der du nicht direkt mit Farbe in den Raum eingreifst. Bisher waren deine Bilder auf Holz, Leinwand oder Papier immer von einer oder mehreren Wandmalereien oder zumindest von farbig gefassten Wänden flankiert. Warum verzichtest du dieses mal darauf?
LG: Das hat zum einen einen ganz praktischen Grund, denn ich würde bei dir in der Galerie gerne mal die hintere lange Wand bemalen, aber das lässt sich auf der jetzt eingebauten Holzwand nicht umsetzen. Der andere Grund ist der, dass ich oft, wie auch bei der letzten Ausstellung ‚Pas De Trois‘ an einem Projekt arbeite, was jetzt bei dieser Ausstellung nicht der Fall ist. Es handelt sich bei den neuen Arbeiten eher um einzelne Arbeiten. Viele früheren Arbeiten, die noch mehr Zeichnung als Malerei waren, hatten auch wesentlich kleinere Formate als die neuen Malereien und brauchten deshalb eher eine Wandarbeit.
Ich wollte aber doch etwas situationsbezogenes machen, weswegen ich dann auf die Idee mit der Flagge kam, die wir im vorderen Raum zeigen werden.
PRG: Kannst du ein paar Punkte benennen, die sich während der letzten 2-3 Jahren innerhalb deiner Arbeit verändert haben?
LG: Die Arbeit hat sich immer wieder verändert. Meine Arbeiten waren für ein paar Jahre etwas zurückgenommen in den Farben und ein bisschen dunkler und zeichenhafter. Ein einschneidendes Erlebnis hatte damals eine innere Abneigung gegen konkrete Formen und starke Farben ausgelöst. Ich kann das nicht genauer erklären, aber ich habe mich deshalb damals auf die Linienarbeiten konzentriert, die zum Teil schon in der Galerie zu sehen waren.
Die Lust auf Form und Farbe kam dann sehr langsam wieder und es entstand die letzte Ausstellung ‚Pas De Trois‘ bei dir, zum Thema ‚Triadisches Ballet‘ von Oskar Schlemmer.
Früher habe ich nur Raumarbeiten und Zeichnungen gemacht. Die ersten Arbeiten auf Holz waren Zeichnungen auf Holz, bei denen auch Farbe mit verwendet wurde. Das hat sich im Vergleich zu heute geändert. Auch wenn das kein radikaler Unterschied ist, empfinde ich das, was ich heute mache auf jeden Fall mehr als Malerei.
Mouches Volantes: Fliegende Mücken ist die wörtliche Übersetzung ins Deutsche.
Floaters ist die äquivalente englische Übersetzung dieses, uns allen vertrauten Phänomens der Wahrnehmung von Schwebeteilchen im Glaskörper des Auges.
Laut schulmedizinischer Augenheilkunde handelt es sich um durch sich ablösende Gewebepartikel oder partielle Verdickungen der Gallertmasse verursachte Verunreinigungen im Glaskörper des Auges, die sich mit zunehmenden Alter vermehren und sich vor der ansonsten homogen transparenten und unsichtbaren Flüssigkeit als frei schwebende, scheinbar äußere Phänomene betrachten lassen.
In alternativ-wissenschaftlicher, spirituell/esoterisch orientierter Literatur finden sich dagegen bemerkenswerte Deutungen dieses Phänomens als eines subjektiven visuellen Feedbacks der eigenen Bewusstseinsentwicklung. Die konzentrierte Betrachtung dieser Strukturen wird als meditative Praxis verstanden, in deren Fortgang sich die anfangs amorphen halbtransparenten Gebilde zu leuchtenden, klar definierten Formen ausbilden (Fäden, Kugeln), die auf eine sichtbar werdende individuelle, menschliche Grundstruktur zurückzuführen sind.
In einer übergeordneten Kategorisierung sind die Mouches Volantes den entoptischen Phänomenen zuzuordnen. Dies sind abstrakte, subjektiv visuelle Erscheinungen, deren Ursache innerhalb unseres Sehsystems (vom Auge über den Sehnerv bis zum visuellen Sehzentrum im Hirn) liegen, die aber vom Betrachter als außerhalb von sich wahrgenommen werden und aufgrund dessen eine spannungsreiche Verbindung unserer Innen-und Außenwelt darstellen.
Im Konzept des Schwebens, das die englische Übersetzung aufgreift, begegnet uns ein Thema, das sich durch Brögs künstlerische Arbeit als roter Faden zieht. Angefangen von frühen Arbeiten („Schwebischer Monolith“, „Snark’s Castle“) bis zu seinen aktuellen Skulpturen der „ZeigRäume“ und „Melancholie-Boxen“, die sowohl in ihrer Präsenz, Statik, Platzierung und Materialität den Moment des Schwebens, einer nur losen Bindung zu ihrem momentanen konkreten Umfeld aufweisen. Verstärkt oder betont wird dieses formal inszenierte Schweben durch die hybride mediale Natur fast aller seiner Arbeiten und Werkgruppen, was wiederum sein Interesse bezeugt, Zustände des Dazwischen und des Vorübergehenden zu beleuchten.
Eben dieses Thema des Schwebens begegnet uns auch in der Werkgruppe der Isolationen. Quellmaterial dieser Werkgruppe sind Meisterwerke der Malerei von der Renaissance bis zur Moderne. Hier entwickelt Brög ein Verfahren die ausgewählten Werke zu verflüssigen und modellierbar zu machen, indem er in den ursprünglichen Kompositionen einzelne, klar umrissene Gegenstände isoliert, den ursprünglichen Bildkontext extrem verdunkelt und so zum Hintergrund der neu platzierten und größtenteils modifizierten Objekte erklärt.
Die auf diese Weise entstandenen zwei Ebenen erfordern intuitiv eine mehrstufige Betrachtung: Einen ersten Blick, scheinbares direktes Erfassen des isolierten Objekts, eine Irritation und einen zweiten Blick, die Wahrnehmung des Objekts mit Umfeld.
So wie der Betrachter die Frage nach der Natur der Objekte und deren neu gewonnenes autonomes Bedeutungspotential im Verhältnis zu ihrer Verbundenheit, zu dem entzifferbaren ursprünglichen Kontext als shiftenden Perspektivwechsel erfährt, führt ihn auch die sich aufdrängende Frage der Medialität der Isolationen auf hybrides Terrain des sowohl als auch.
Es handelt sich um Arbeiten, die Strategien konzeptueller Fotografie ebenso anwenden, wie Aspekte digitaler Collage und Bildmanipulation. Ihr Analysethema ist ganz wesentlich den großen Themen der Malerei und Kunstgeschichte zuzuschreiben. Brög entnimmt diesen Welten Elemente, die auch für unser heutiges Bewusstsein als Zeichen, Symbol, Metapher oder Trigger agieren. Ihre Anziehungs- und Aussagekraft beziehen sie dabei wesentlich aus der Gleichzeitigkeit von Fremdheit und Vertrautheit, Vergangenem und Jetztzeit.
So wie das ganze Konzept dieser Reihe trotz der kanonischen Quellen auf subjektiver Selektion beruht, hat auch der Sammler das Vergnügen der subjektiven Selektion, wenn er sich zu einem Motiv – gemäß’ seiner Erfahrungswelt – hingezogen fühlt.